Astrologen und Psychotherapeuten haben vorwiegend mit Menschen zu tun, die in Not sind. Diese Not kann ganz verschiedene Gesichter haben: Schwierigkeiten im Beruf, finanzielle Sorgen, gesundheitliche Beeinträchtigungen, Probleme mit dem Partner, Minderwertigkeitsgefühle, verschiedenste konkrete und irrationale Ängste, Depressionen, Lernschwierigkeiten - die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. |
Die Frage der ZuständigkeitWie nun geht der Astrologe und wie der Psychotherapeut mit diesen Schwierigkeiten um? Wie meint der eine und wie der andere den in Not befindlichen Menschen helfen zu können? Was soll durch seine entsprechende Hilfe genau erreicht werden? Gibt es Probleme, für die der Astrologe und andere, für die der Psychotherapeut zuständig ist? Auf die letzte Frage werden viele sicherlich spontan mit „Ja, natürlich!“ antworten wollen. Sie werden vielleicht argumentieren, dass etwa finanzielle Sorgen oder bestimmte Arten beruflicher Probleme eher in den Zuständigkeitsbereich des Astrologen fallen dürften, die Behandlung von Minderwertigkeitsgefühlen oder Lernschwierigkeiten dagegen eher in den des Psychotherapeuten. Diese Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche scheint auf den ersten Blick auch durchaus einleuchtend. Aber ist seelisches Leid und schwieriges „äußeres“ Schicksal wirklich etwas so Verschiedenes? |
Der Dichter Novalis sagt: „Schicksal und Seele sind zwei Namen für dasselbe Prinzip.“ Viele Astrologen würden sich wohl irgendwie für die schicksalhaften Erlebnisse bzw. Ereignisse zuständig fühlen, am ehesten vielleicht im Sinne des Schicksals, das uns „widerfährt“. Viele Psychotherapeuten würden sich am ehesten für das zuständig fühlen, was Novalis als Seele bezeichnet. Sich der Auffassung von Novalis anzuschließen, dass beides letztlich dasselbe sei, und diese Auffassung zur Grundlage der eigenen Arbeit zu machen, ist eine Entscheidungs- letztlich wohl eine Glaubensfrage. Ich habe mich entschieden, von dieser Annahme auszugehen, sie zur Grundlage meiner astrologischen und therapeutischen Arbeit zu machen. Für mich ist alles, was eine Person erlebt, direkter Ausdruck ihres Wesens. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es fruchtbar ist, mit dieser Grundannahme an meine eigenen Probleme und die Probleme meiner Klienten heranzugehen. | ||
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Was erwartet der Rat- und Hilfesuchende?Die Auffassungen des Therapeuten jedoch sind nur eine Seite in dem Prozess einer Beratung. Welche Art Hilfe erwartet denn der Klient, wenn er zu einem Psychotherapeuten geht oder aber zu einem Astrologen? Welche Auffassung hat er vom „Wesen“, von den tieferen Ursachen seiner Schwierigkeiten, seines Leids? Will er etwas anderes, wenn er zu einem Psychotherapeuten geht, als wenn er zu einem Astrologen geht? Auch hier scheint auf den ersten Blick wieder ein „Ja!“ die richtige Antwort zu sein. Auch ich selbst habe, als ich im Jahre 1975 meine Praxis als Berufsastrologe eröffnete, eine entsprechende Trennung vollzogen. Als Astrologe empfand ich mich als „Diagnostiker“. Mein Bestreben ging dahin, möglichst treffende und differenzierte Diagnosen zu stellen. |
Es erfüllte mich z. B. mit Stolz, wenn
Klienten nach der Beratung sagten: „Ja, genau so bin ich! So
gut hat es noch nie jemand ausdrücken können. So gut hätte
ich selbst es nicht sagen können“. Ob im Bereich der
Charaktereologie, für den ich mich zuständig fühlte, oder im
Bereich der Prognose, den andere Astrologen wichtiger
nehmen: Diagnostiker sind beide! Der Diagnostiker stellt fest,
wie ein Charakter oder wie eine Situation tendenziell ist bzw.
wie sie sein wird. Je länger ich auf diese Weise arbeitete, um so
weniger befriedigte mich diese Art des Diagnostizierens.
Einmal schrieb mir ein Klient in einem Brief nach Erhalt eines
schriftlichen Gutachtens: „Vielen Dank für Ihr Gutachten. Es
hat mich sehr überrascht. Es grenzt fast an Wunder, wie genau
Sie mich beschrieben haben... |
Nachdem Sie meine Stärken
und Schwächen so genau analysiert haben, bitte ich Sie
freundlichst, mir auch mitzuteilen, wie ich mit den von Ihnen
aufgezeigten Problemen fertig werde“. Diese Bitte machte mir
endgültig klar, dass ich astrologische Arbeit von
therapeutischer Arbeit nicht trennen kann. Ich war im ersten
Moment geneigt, dem Klienten zu antworten, dass er sich an
einen Psychotherapeuten in seiner näheren Umgebung
wenden solle. Ich hatte diagnostiziert: Eine astrologisch
begründete „Therapie“ hatte ich nicht. Und Ratschläge nach
dem „gesunden Menschenverstand“ unter Rückgriff auf
„bewährte Hausrepzepte“ für den Umgang mit seelischen
Problemen zu erteilen, wie es die meisten Astrologen in einem
solchen Fall tun, dazu war ich dann doch schon nicht mehr
„naiv“ genug, war schon zuviel Psychologe. |
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Wenn konkrete Fragen gestellt werdenDie beschriebene Situation kommt oft vor. Es beginnt damit, dass sich ein Klient an mich wendet, scheinbar nur mit der Bitte um eine ganz klare Auskunft. Da kommt eine Frau in mittleren Jahren zu mir, seit 20 Jahren verheiratet, die plötzlich von ihrem Mann verlassen wurde. Sie kommt mit der Frage: „Wird mein Mann zu mir zurückkehren?“ Selbst wenn ich ihr aufgrund meiner Berechnungen eine definitive Antwort darauf geben könnte (ich kann es natürlich nicht!): War das zu erfahren der alleinige Grund, war es überhaupt wirklich der Grund, warum sie zu mir kam? Habe ich ihr „geholfen“? Deutlich wird die Berechtigung meines Zweifels bei vielen Klienten, die von sich aus weiterfragen: „Habe ich vielleicht etwas falsch gemacht? Wie werde ich mit der neuen Lebenssituation fertig? Was soll jetzt werden? Was soll ich tun?“ Der Klient möchte Rat, sucht eine Orientierung. Er leidet und er sucht einen Weg, dieses Leid zu verarbeiten, neuem Leid aus dem Wege zu gehen. |
Er möchte, dass es ihm
wieder besser geht. An dieser Stelle ist die Ausgangssituation
für Therapeuten und Astrologen identisch: Beide stehen vor
der Frage, was zu tun sei, und, meiner Ansicht nach auch vor
der Frage, wie das eigene Tun begründet werden kann. Wenn
ich helfen will, muß ich nämlich ein Ziel wissen: Was soll sich
durch meine Hilfe verändern? Wann will ich meine Hilfe als
erfolgreich betrachten? Dem direkt und gradlinig denkenden
Menschen mag diese Frage sinnlos erscheinen. Er mag
denken: „Wenn es dem Klienten besser geht, dann war die
Hilfe richtig“. Aber leider ist es so einfach nicht! Denken Sie
an einen Patienten mit Einschlafstörungen: Er bekommt vom
Arzt Schlaftabletten, und es geht ihm besser. Nach und nach
jedoch gewöhnt er sich an die Tabletten und braucht immer
stärkere Dosierungen und ist schließlich tablettensüchtig (um
einen krassen aber leider keineswegs unwahrscheinlichen Fall
zu konstruieren). |
Vielleicht waren finanzielle Sorgen die
Ursache der Einschlafstörungen des Patienten, oder es waren
Probleme in der Ehe. Eine Bereinigung dieser Schwierigkeiten
hätte das Symptom Einschlafstörungen nachhaltig zum
Verschwinden bringen können, ohne „Nebenwirkungen“. Es
ist eine Frage der Wahl des Bezugssystems: Der Arzt hier hatte
ein rein materielles, so will ich es einmal ausdrücken, ein
physiologisches Bezugssystem. Einschlafstörungen sind für
ihn, vereinfacht ausgedrückt, der Ausdruck überhöhter
Aktivität des vegetativen Nervensystems, was er mit
chemischen Mitteln zu korrigieren versucht. Innerhalb seines
Bezugssystems eine konsequente und vernünftige
Entscheidung - seine Hilfe ist ja auch wirksam. Dieses
Bezugssystem sieht den Körper vorwiegend als ein
funktionelles System, und menschliches Leid, sei es nun
körperlich oder äußere es sich psychisch, ist im wesentlichen
Ausdruck einer Störung dieses sehr störanfälligen Systems. |
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Die Frage nach Ursprung und Wesen des menschlichen LeidsWenn seelisches Leid nun noch etwas anderes sein sollte als eine funktionelle Störung im chemischen Haushalt unseres Körpers: Was ist es denn? Die Frage nach Wesen und Ursachen menschlichen Leids wurde in den verschiedenen Epochen menschlicher Geschichte sehr verschieden beantwortet: Rache oder gar Willkür der Götter, böse Geister, die Strafe Gottes für unmoralisches Verhalten, das heißt für Verstöße gegen seine Gebote; in östlichen Kulturkreisen: Karma; in unserer Zeit die erwähnte Auffassung von einer funktionellen Störung, die gegebenenfalls im Zusammenhang mit der Vererbung gesehen werden muß, aber auch Entwicklungsstörungen in der frühen Kindheit oder einfach mehr oder weniger zufällig erfolgtes „falsches Lernen“. |
Sogar
das, was eigentlich als Leid anzusehen sei, wurde zu
verschiedenen Zeiten in unserer Geschichte und wird immer
noch in verschiedenen Kulturen, wie sie heute bestehen,
verschieden bewertet: Denken wir an die Stellung der Frau in
Ländern des Orients. Denken wir etwa an das Fehlen von
Liebe in der Ehe, das „Nebeneinanderherleben“ von
Ehepaaren (wie sie selbst es oft nennen). Dieses Fehlen von
Liebe war in den reinen Zweckehen des Mittelalters eine
Selbstverständlichkeit. Dort war es schließlich noch üblich,
dass die Eltern ihren Kindern die Ehepartner aussuchten. Die
„Liebesehe“ ist eine Erfindung beziehungsweise
Errungenschaft der letzten zwei bis drei Jahrhunderte. |
Heute
jedoch führt diese damals selbstverständliche Situation oft
einen oder beide Partner in die Sprechstunde eines
Psychotherapeuten oder eines Astrologen. Aber auch
innerhalb unserer heutigen Kultur, ja sogar unter den
Menschen, deren Beruf die Heilung oder Linderung
menschlichen Leids ist, (also z. B. Ärzte und
Psychotherapeuten) gibt es, wie schon angedeutet, keine
einheitlichen Vorstellungen über Wesen und Ursachen
menschlichen Leids, über Wege und Möglichkeiten der
Therapie oder gar über die Ziele, die durch solche Therapie
angestrebt werden sollen.
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Ziel und Zweck einer TherapieSigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, gab auf die
Frage, was denn das Ziel der analytischen Therapie sei, zur
Antwort, ein Patient könne nach erfolgreich abgeschlossener
Therapie wieder „lieben und arbeiten“. Dieses Ziel wirklich zu
erreichen, bedeutet tatsächlich viel, mehr jedenfalls, als es auf
den ersten Blick für manche scheinen mag. Eine bedeutsame
und befriedigende partnerschaftliche Beziehung eingehen zu
können, sich auf diesen hohen Grad an Nähe zu einem
Menschen einlassen zu können, setzt innere Stabilität voraus.
Der Weg, der zu dem Ziel, wieder „lieben und arbeiten“ zu
können,führt, ist bei Freud die psychoanalytische Technik. |
Sie
zielt im wesentlichen darauf ab, Unbewußtes bewußt zu
machen: Der Patient lernt, mit seinen un-bewußten und damit
der Kontrolle durch das bewußte Ich entzogenen Triebkräften
und Ängsten bewußt umzugehen. Er ist dann nicht mehr der
von unverstandenen inneren Kräften oder Impulsen
Getriebene, nicht mehr Opfer, sondern handelnder und damit
reifer, erwachsener Mensch. Es ist nämlich, um diesem
möglichen Mißverständnis vorzubeugen, nicht das Ziel
irgendwelcher Therapie, aus einem „unglücklichen“ Menschen
einen „glücklichen“ Menschen zu machen. Auch der
Therapeut kann die Fakten, die mich unglücklich
machen,nicht aus der Welt schaffen. Was der Therapeut kann,
drückt Sigmund Freud sinngemäß so aus: Aus neurotischem
Leid soll gewöhnliche menschliche Trauer werden. |
Ganz
anders sind die Vorstellungen über Ursachen, Wege und Ziele
in der sog. Verhaltenstherapie (ein Begriff, der auf den
Psychologen H. J. Eysenck zurückgeht). Für den
Verhaltenstherapeuten entsteht, vereinfacht ausgedrückt,
seelisches Leid z. B. durch falsche LernProzesse. Diese
falschen LernProzesse führen zu „unangepassten“, zu den
realen Verhältnissen inadäquaten Verhaltensweisen, die daher
meist negative, unlustbetonte Konsequenzen haben.
Korrigierbar sind solche Verhaltensweisen auf die gleiche
Weise, wie sie entstanden, durch Lernen: Neu- Erlernen neuer
Verhaltensweisen oder Umlernen.
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Die Hilfsmöglichkeiten des AstrologenWie würden nun wir als Astrologen es sehen? Wie sehen wir seelisches Leid? Welche Wege können wir gehen, astrologisch begründet dieses Leid zu lindern? Gibt es solche Wege? Oder sind Astrologen, wie oben schon angesprochen, auf den sog. „gesunden Menschenverstand“ und „bewährte Hausrezepte“ angewiesen? Ich denke, auch unter Astrologen gibt es keine einheitliche Vorstellung über das Wesen menschlichen Leids; ganz sicher gibt es keine einheitliche Vorstellung - aus der Astrologie abgeleitete Vorstellung - darüber, wie man Menschen in Not helfen kann. Es gibt ja nicht einmal Einigkeit darüber, was denn das Horoskop„eigentlich“ bedeutet, welche Art von Aussagen man aus dieser graphisch dargestellten Konstellation der Gestirne, wie sie im Moment der Geburt eines Menschen bestand, ableiten kann. Es gibt z. B. die „Total-Fatalisten“, die so weit gehen zu behaupten, buchstäblich jeder Schritt eines Menschen sei aus dem Horoskop ablesbar, wenn man nur die richtige Methode kenne und genau genug rechne. Abgesehen davon, dass viele Astrologen m. E. den Unterschied von Symbol und Entsprechung nicht beachten. (Jedes astrologische Symbol ist ja in bezug auf die konkrete Lebenswirklichkeit, auf die es sich bezieht, vieldeutig), bleibt auch immer die Frage ungeklärt, was solche „Fahrpläne des Schicksals“ den Ratsuchenden helfen sollen. |
Müssen sie sich nicht als passive, weil machtlose
und ausgelieferte Passagiere eines Zuges empfinden, von dem
ihnen bestenfalls der Astrologe noch den Zielbahnhof nennen
kann (wie er meint)? Auf die Frage: „Was soll ich tun?“ kann
doch ein solcher Astrologe konsequenterweise keine Antwort
geben: Es geschieht doch ohnehin immer das, was geschehen
muß. Da mir bisher niemand diese Annahme überzeugend
plausibel machen konnte, habe ich mich jedenfalls
entschieden, sie zu verwerfen, auch deshalb, weil sie
unfruchtbar ist! Sie nimmt mir die Verantwortung für mein
eigenes Schicksal vollständig aus der Hand. Damit nimmt sie
mir aber auch die Motivation, irgend etwas anderes zu tun, als
mich einfach treiben zu lassen. Der weitaus größere Teil der
heute arbeitenden Astrologen sieht auch tatsächlich im
Horoskop nicht einen „Fahrplan des Schicksals“, sondern ein
Strukturbild, das, in symbolischer Form verschlüsselt, das
Gefüge meines „Grundcharakters“ widerspiegelt. Das
Horoskop ist in dieser Lesart ein Gleichnis, und es gibt
unendlich viele konkrete Lebenswirklichkeiten, konkrete
Erlebnisse, konkrete Fakten, die dieses Gleichnis „erfüllen“
können. |
Aber obwohl es unendlich viele konkrete
Lebenssituationen gibt, die diesem Gleichnis entsprechen
können, so sind sie dennoch nicht einfach „beliebig“ - um
einem möglichen Einwand gegen die Astrologie gleich zu
begegnen. Wir können auch auf unendlich viele Arten ein
Dreieck zeichnen, aber es ist dennoch nicht beliebig, was wir
zeichnen: Ein Dreieck ist eben etwas anderes als ein Viereck!
Ich meine, aus dieser Auffassung läßt sich über das Wesen und
die tieferen Ursachen menschlichen Leids etwas ableiten: Wie
ich weiter oben beschrieben habe, unterscheidet Sigmund
Freud zwei Arten von Schmerz oder Leid. Er sagt, dass
Psychotherapie nicht das Ziel habe, aus einem unglücklichen
Menschen einen glücklichen Menschen zu machen, sondern
neurotisches Leid in gewöhnliche menschliche Trauer zu
verwandeln. In Analogie zu dieser Formulierung würde ich
vom Horoskop her ebenso zwei Arten menschlichen Leids
unterscheiden: Die eine will ich die „gesunde“, die andere die
„kranke“ Art von Leid nennen. Meiner Meinung nach entsteht
die Art von Leid, die wir als Krankheit empfinden, als
„Gestörtheit“; die ungesunde Art von Leid dadurch, dass ich
mich von dem im Horoskop ausgedrückten Grundcharakter
entferne, dass ich ihn verleugne, unterdrücke oder auch nur
ablehne !
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Wenn sich ein Mensch selbst ablehntEs gibt sehr verschiedene Gründe dafür, wie es zu einer solchen Unterdrückung oder Ablehnung des eigenen Grundcharakters kommen kann. Ein leicht einleuchtendes Beispiel ist die Situation einer Frau, deren Horoskop eine starke Mars-Komponente aufweist, oder die Situation eines Mannes, dessen Horoskop eine starke Venus- oder Mondbetonung aufweist. In einer Gesellschaft, in der eine strenge Trennung der Geschlechterrollen vorgenommen wird, wie es bis vor ganz kurzer Zeit in unserer Gesellschaft der Fall war, muß sich ein zu sensibler Mann mit einer Betonung weiblicher Wesensmerkmale oder eine zu robuste Frau mit einer Betonung männlicher Wesensmerkmale als minderwertig empfinden, können doch beide nicht den an sie gerichteten Anforderungen der vorgeschriebenen Geschlechterrollen gerecht werden, es sei denn um den Preis ihrer Selbstverleugnung. |
Dieser Preis wird allerdings im allgemeinen
bezahlt. Die Situation kann also dazu führen, dass ich selbst
meine ureigenste Wesenart ablehne. Es ist meines Erachtens
unmittelbar einleuchtend, dass eine solche Ablehnung leidvolle
Konsequenzen für das betreffende Individuum haben muß. Es
gibt aber auch, um auf das sog. „gesunde Leid“ zu kommen, in
jedem Leben ein bestimmtes Maß an Schmerz, das darin
besteht, mit den in dieser Welt unvermeidlichen Begrenzungen
meiner Bedürfnisbefriedigung, mit sog. Frustrationen also,
fertig zu werden. Die Bewältigung solcher Herausforderungen
des Schicksals ist gesundes, weil meiner Ansicht nach
wachstums- und reifungsförderndes Leid. Ein gewisser Teil
dieser Begrenzungen dürfte übrigens gerade durch meinen
Grundcharakter, wie er in der Struktur des Horoskops
versinnbildlicht ist, festgelegt werden. |
Ich erinnere an Novalis:
Schicksal und Seele sind zwei Namen für dasselbe Prinzip.
Aus diesem Schmerz entsteht wirkliches Leid in seiner
ungesunden Form gerade oft dadurch, dass ich versuche,
diesem Schmerz aus dem Wege zu gehen, was nämlich
bedeutet, mich von meinem Grundcharakter zu entfernen.
Vergessen wir gerade in diesem Zusammenhang nicht, dass
nicht das Faktum als solches zählt, sondern die Bedeutung, die
es für mich hat. Nicht das Ereignis selbst tut weh, sondern
mein Schmerz bezieht sich auf etwas, was durch das Ereignis
in mir ausgelöst wird. Was kann ich aus dieser
Charakterisierung menschlichen Leids ableiten, um Menschen,
die leiden, die in Not sind, zu helfen?
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Die Versöhnung mit dem eigenen GrundcharakterWenn das Horoskop meinen Grundcharakter widerspiegelt,
und wenn die Annahme richtig ist, dass eine Verleugnung,
Unterdrückung oder Ablehnung meines Grundcharakters
Quelle von Leid darstellt, dann ist die Maxime astrologisch
fundierter therapeutischer Arbeit das, was ich „Versöhnung
mit meinem Grundcharakter“ nennen möchte! Man kann
diesen Umstand auf verschiedene Weise ausdrücken. Der
bekannte amerikanische Astrologe Dane Rudhyar drückt es so
aus, dass das Horoskop für ihn eine „Instruktion“ darstellt: Es
sagt nicht aus, wie jemand ist, sondern wie jemand sein sollte!
Man könnte hinzufügen: sein sollte, um in Harmonie mit
seiner grundlegenden Natur zu sein beziehungsweise zu leben.
Mit noch anderen Worten heißt dies: Werde, der du bist!
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Es
macht einen sehr großen Unterschied, ob ich ein Horoskop als
Charakterbild sehe, das mir einen Ist-Zustand zeigt, das mir,
wie der oben erwähnte Klient es in seinem Brief an mich
ausdrückte, meine Stärken und Schwächen analysieren hilft,
oder ob ich es als den Entwurf von etwas sehe, auf das hin ich
mich entwickeln sollte, als etwas, das ich anstreben sollte. Der
Unterschied liegt auf der Hand: Es gibt in letzerem Fall im
Horoskop nichts, was ich vermeiden, abschwächen oder auch
nur besonders wachsam kontrollieren müßte. Im Gegenteil:
Jeder Aspekt des Horoskops bezeichnet einen Teil meiner
Selbstentfaltung, der ein Recht auf Realisierung hat, der
realisiert werden muß, damit ich „heil“, das heißt ganz bin und
in Harmonie mit mir selbst lebe! Das Horoskop ist auf diese
Weise zwar kein „Fahrplan für mein Schicksal“, aber ein
Leitfaden für meine Selbstverwirklichung, um diesen heute so
modernen Begriff dafür zu gebrauchen. |
Ich möchte zum
Schluß an einem konkreten Konstellationsbeispiel deutlich zu
machen versuchen, was die Umsetzung meiner Maxime in
bezug auf traditionell „kritisch“ angesehene Konstellationen
praktisch bedeutet. Das Beispiel bezieht sich auf die Thematik
des 12. Hauses oder Feldes. Nehmen wir als Ausgangspunkt
die Beschreibung der Bedeutung des 12. Feldes durch den
Arzt und Astrologen H. Freiherr von Kloeckler: „In dieser
Felderzone kommen Tendenzen zum Ausdruck, die leicht zu
äußerer Hemmung und Isolation führen. Mit der Neigung zu
äußerer Wirkung verbinden sich bei starker Besetzung des
Feldes seelische Zurückhaltung, Abwendung und in manchen
Fällen auch asoziale beziehungsweise kriminelle Anlagen und
Neigungen. Das Leid und das Leidensmotiv ist meist sehr
ausgeprägt, körperliche und seelische Erkrankungen kommen
in Planetenpositionen des 12. Feldes zum Ausdruck . . .“
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Die Umwandlung einer Diagnose in eine InstruktionEs handelt sich bei dieser Beschreibung des 12. Feldes, wie auch aus einigen Formulierungen deutlich wird, um auf Erfahrung gegründete Beschreibungen typischer, häufiger Entsprechungen für das astrologische Symbol: 12. Feld. Die Beschreibung ist vom Ansatz her diagnostisch, und um sie therapeutisch im Sinne unserer Maxime nutzen zu können, muß man sie in eine „Instruktion“ umwandeln. Es leuchtet ein, dass diese Instruktion keine Vorschrift über konkretes Verhalten beinhalten kann, denn das würde der symbolischen Grundlage dieser „Instruktion“ auch nicht gerecht, wäre eine Variante fatalistischer Deutungen. |
Die Instruktion kann sich
natürlich nur auf „Grundlegendes“ beziehen; letztlich bezieht
sie sich auf das, was die Konstellation „eigentlich“ bedeutet.
Meiner Ansicht nach - und diese Ansicht ist stark beeinflußt
von der Psychotherapeutin und Astrologin Liz Greene -
symbolisiert das 12. Feld Bedürfnisse und Impulse des
Menschen, die auf das Kollektiv aller Menschen, letztlich
wahrscheinlich auf die Gattung Mensch bezogen sind.
Irgendwie hat dieses Feld eine Nähe zum Opfer: das
Aufgeben ichbezogener Bedürfnisse zugunsten kollektiver
Bedürfnisse oder Erfordernisse. Eine starke Besetzung des 12.
Feldes bedeutet vermutlich für das Individuum einen starken
Impuls in Richtung „Opfer für Gruppenerfordernisse“. Das
ist der Grund, warum wir so viele dieser Menschen in sozialen
Berufen antreffen . In unserer Gesellschaft jedoch hat Opfer
einen unangenehmen Beigeschmack. Derartige Bedürfnisse
erscheinen als unverständlich, wenn nicht als krank. |
Unser
Zeitgeist ist individuenbezogen. Aber nicht nur für andere,
auch für das Individuum selbst sind seine Bedürfnisse
unverständlich, vielleicht sogar ängstigend, und er mag sich
dagegen wehren. Dieses Wehren kann so weit gehen, dass sich
der Impuls, sich für andere zu opfern, in sein totales Gegenteil
verwandelt; dann haben wir den von Freiherr von Kloeckler
erwähnten Kriminellen, der mehr nimmt, als ihm zusteht.
Doch das Eigentümliche des Grundcharakters ist, dass er
einen sehr starken Drang nach Realisierung hat, und die pure
Unterdrückung oder Verleugnung nimmt ihm nicht seine
Kraft, sondern diese Kraft wird nur „gestaut“. Kerker oder
gewaltsame Selbstzerstörung sind so vielleicht verstehbar als
verzerrte Formen der Realisierung der gerade beschriebenen
ursprünglichen Impulse.
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In der praktischen BeratungssituationDie Vermittlung solcher Gedanken an den Klienten setzt u. U. ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen voraus, denn einem dafür nicht aufnahmebereiten Menschen zu erklären, seine Probleme würden verschwinden, wenn er seinem Bedürfnis, sich für andere zu opfern, nachgeben könnte, kann ja nur auf Unverständnis oder aggressive Abwehr stoßen. Ich formuliere bestimmte Eindrücke aus dem Horoskop in der Beratungssituation daher oft als Frage: „Wie empfinden Sie eigentlich Menschen, die sich selbst für andere aufopfern ?“ „Wie meinen Sie das: aufopfern ? Meinen Sie Märtyrer?“ „Ja, wir können mal als Beispiel Märtyrer nehmen.“ „Fürchterlich empfinde ich die! Keinen Sinn fürs Kämpfen! Irgendwie widert mich so was auch an.“ So könnte vielleicht jemand antworten, der die Sonne im Widder im 12. Feld stehen hat. |
Ich würde vielleicht weiter
fragen, was so widerlich an diesen Leuten ist, würde auf diese
Weise versuchen, ihn selbst diesen Teil seines
Grundcharakters entdecken zu lassen. Psychologisch
gesprochen geht es bei dem Prozess, den ich hier beschreibe,
um die Entdeckung und Verarbeitung dessen, was C. G. Jung
den „Schatten“ nennt. Der Schatten umfaßt all die Teile
meiner Person, die ich, kurz gesagt, an mir nicht ausstehen
kann. Am wenigsten problematisch sind dabei die Teile meiner
Person, derer ich mir bewußt bin, die ich aber dennoch
ablehne. Schwierig wird es mit den Anteilen meiner Person,
die ich so stark ablehne, dass ich Angst habe, sie als zu meiner
Person gehörig anzuerkennen. Wir müssen die dunkle Seite in
uns lieben lernen, erst dann kann sie uns zeigen, welches
ungeheuere Potential auch in diesem Teil meiner Person steckt
und wie wichtig dieser Teil ist, damit ich in Harmonie mit mir
selbst leben kann. . |
Für mich als Therapeut besteht die große
Schwierigkeit darin, dass auch ich ja in einem Prozess stecke
und dass viele der Schatten-Figuren meiner Klienten auch mir
Angst einflößen, dass ich viele Impulse bei mir nicht
annehmen kann und dann auch beim Klienten nicht
annehmen kann. Wie soll er aber mit meiner Hilfe lernen,
seinen Schatten zu lieben, wenn ich diesen Schatten aus den
gleichen Gründen wie er ablehne?
Fazit:Hier zeigt sich, dass ich als Astrologe wie als Therapeut einen
Klienten immer nur bis zu der Stelle begleiten kann, bis zu der
ich selbst angstfrei gehen kann. Ein Klient kommt, zumindest
als Folge meiner Hilfe, immer nur bis zu dem Punkt, bis zu
dem auch ich mich entwickelt habe. Dieses Wissen
verpflichtet den Astrologen wie den Psychotherapeuten zu
stetiger Arbeit an sich selbst. Zur Ausbildung des
Psychotherapeuten gehört, dass er selbst eine Psychotherapie
absolviert. Es gibt gute Gründe, dies auch für Astrologen zu
fordern |
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