Nicht der Fluss fließt, sondern das Wasser. Nicht die Zeit vergeht, sondern wir. (Autor unbekannt) Meine sehr verehrten Damen und Herren,
Liebe Kolleginnen und Kollegen |
Die natürliche Form des Denkens ist das Denken in Analogien. Vermutlich ist die Empfindung vieler Menschen gar nicht so falsch, dass es geradezu ein Akt der Gewalt ist, dem analogen Denken mit Logik zu begegnen. Mit einem gewissen Recht empfinden sie, dass die Logik dem Denken Fesseln anlegt, denn in der Tat dient ja auch die Logik dazu, den 'freien Fluss der Assoziationen' zu lenken und zu kontrollieren. Da ich aus Erfahrung weiß, dass die Konfrontation mit der Gewalt der Logik zu Unmut führen kann, besonders, wenn dabei
Grundüberzeugungen, gedankliche Selbstverständlichkeiten plötzlich fragwürdig erscheinen, möchte ich mit diesen Vorbemerkungen potentiellem Unmut wenigstens die Spitze nehmen. In meinem Vortrag geht es überwiegend um das Thema Zeit. Carl Gustav Jung postulierte, dass die Zeit ein konkretes Kontinuum mit bestimmten Eigenschaften und Qualitäten sei und diese Formulierung wurde von Astrologen dankbar aufgenommen. |
Auch für viele von Ihnen, verehrte
Zuhörerinnen und Zuhörer, dürfte gelten, dass sie Astrologie
als die 'Wissenschaft von der Qualität der Zeit' ansehen. Ich
habe mir dieses Thema für meinen Vortrag ausgesucht, weil
ich diese Formulierung für wenig hilfreich halte, wenn wir
weiter mit der Frage kommen wollen, worauf Astrologie
wirklich basiert. Und daher versuche ich in diesem Vortrag zu
zeigen, dass dieser Formulierung von Jung kein vernünftiger
Sinn zugeordnet werden kann, wenn man sie wörtlich
nimmt, dass man also diese Formulierung nur als Metapher
verstehen kann und darf, was Jung allerdings selbst keineswegs
so verstanden wissen wollte.
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Ein unüberlegter Umgang mit dem Begriff der Zeit führt sehr
schnell in allerlei Paradoxien. Erlauben Sie mir den Spaß, dies
an einem äußerst populären Beispiel des Umgangs mit dem
Begriff der Zeit zu demonstrieren: Es geht um die bei Science-
Fiction-Autoren so beliebten (und auch von Physikern
ernsthaft diskutierten) 'Zeitreisen'. Vergegenwärtigen wir uns
doch einfach einmal, was dort unserem Verstand angeboten
bzw. zugemutet wird.
Wenn jemand in die Vergangenheit reist, also in der Zeit
rückwärts, wie macht er es nur, dass dabei für die Welt die
Zeit rückwärts, für ihn jedoch die Zeit (weiter) vorwärts läuft?
Für ihn laufen ja die Dinge, die er erlebt, weiterhin
'nacheinander' ab, also 'vorwärts'. So wird er, wenn er z. B. in
den Fünfziger Jahren 'angekommen' ist, subjektiv das Gefühl
haben, vorher im Jahre 2002 'gewesen' zu sein. Und wenn er
dann weiter in die Vierziger Jahre reist, dann war er vorher in
den Fünfziger Jahren. Seine Zeit läuft also vorwärts: Er wird
auf seiner Reise in die Vergangenheit älter, nicht jünger. Und
während seine Zeit vorwärts läuft, durcheilt er die Zeit der
Welt rückwärts? Wie ist ein solches Kunststück möglich?
Wenn Zeitreisen möglich sind, dann ist auch die Diskussion
über das Klonen von Menschen ziemlich überflüssig. Wir
holen uns die Einsteins, die Sportskanonen wie die Beckers
und die Schönheiten wie die Kleopatras einfach, so oft wir
wollen, aus der Vergangenheit. |
Ich könnte z. B. mit lauter
identischen Peter Niehenkes eine ganze Fußballmannschaft
aufstellen (besonders nützlich wäre das nicht, denn ich bin
eine Null im Sport, aber es wäre möglich). Ich fahre einfach in
das Jahr 1969, da war ich in der Blüte meiner Jahre: zwanzig
Jahre alt (aber trotzdem, wie schon betont, eine Null in Sport).
Dort hole ich mich ab. Ich stelle jetzt mal die Frage zurück, ob
ich dann dort, im Jahre 1969, überhaupt anschließend noch da
bin/war, oder ob ich dort 'verschwinde' bzw. verschwunden
bin und daher eigentlich heute so, wie ich hier vor ihnen stehe,
gar nicht vor ihnen stehen könnte, denn ich wäre ja dann nie
Astrologe geworden. Also angenommen: Ich verschwinde an
meinem Geburtstag im Jahre 1969. Dann fahre ich einfach
beim nächsten Mal an den Zeitpunkt einen Tag vor meinem
Geburtstag, denn da bin ich ja noch nicht 'verschwunden' (ich
verschwinde ja erst am Tage meines 20. Geburtstages). Dann
hole ich mich dort einfach ein zweites Mal ab. Nebenbei: Der
Begriff 'Selbstgespräch' bekommt, sollten Zeitreisen einmal
möglich werden, eine ganz neue und eigenartige Bedeutung.
Na, ja: Ich könnte auf diese Weise jedenfalls eine ganze Armee
mit lauter identischen Peter Niehenkes aufstellen! Besonders
nützlich wäre auch das nicht, denn auch als Soldat wäre ich
vermutlich eine Null aber es wäre möglich, wenn Zeitreisen in
der Art, wie Science-Fiction-Autoren es so gern entwerfen,
möglich wären. |
Um die Absurdität der Vorstellung von
Zeitreisen dieser Art auf die Spitze zu treiben, können wir uns
ja vorstellen, dass ich im Jahre 1969 vielleicht keine Lust habe,
mit mir aus dem Jahre 2002 eine Zeitreise zu beginnen und
dass ich mich gegen diesen alten Knacker von 52 Jahren, der
offensichtlich 'ne Meise hat, wehre. Stellen wir uns vor, in
diesem Kampf kommt es zu einem Unfall und der 20jährige
Peter Niehenke stirbt. Treiben wir es noch ein Stück weiter:
Vielleicht sind Zeitreisen erst in 100 Jahren möglich und in
100 Jahren wird jemand in das Jahr 1969 zurückkehren und
mich töten. Im bin dann im Jahre 2002, also heute, natürlich
schon längst tot. Möglicherweise steht hier also vor Ihnen,
ohne dass wir uns dessen bewusst sind, ein Untoter, ein Geist.
Der Grund, warum ich diesen Unsinn so vor ihnen ausbreite
besteht darin, für Logik zu werben. Dem analogen Denken,
dem Denken in Assoziationen macht es keinerlei Probleme,
sich Zeitreisen vorzustellen: Warum sollte es schließlich nicht
möglich sein, sich in eine Maschine zu setzen und man kommt
halt im Jahre 1969 an. |
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Erst logisches Denken offenbart die in
dieser Vorstellung liegenden Aporien, die unüberbrückbaren
Widersprüche zu der Vorstellung von einer unabhängig von
den Objekten dieser Welt dahin fließenden Zeit, denn meine
Zeit würde ja dann in entgegengesetzte Richtung zur Zeit der
Welt laufen müssen wir hätten also mindestens schon einmal
zwei verschiedene parallele Zeitflüsse in einer Welt.
Wenn man die Zeit als eine dem Raum verwandte Dimension
betrachtet, in der man sich, wie im Raum, hin und herbewegen
kann, dann kommt offenbar einfach Unsinn dabei heraus.
Was aber ist Zeit, wenn nicht eine dem Raum analoge
Dimension? Ich weiß, dass sich über diese Frage viele sehr kluge Menschen
bereits Gedanken gemacht haben (ich nenne nur so
ehrfurchtseinflößende Namen wie Aristoteles, Augustinus
oder Kant). Und Sie können sich sicher vorstellen, dass sehr
unterschiedliche Ansichten und Theorien dabei
herausgekommen sind. Manche Philosophen sind zu der
Auffassung gelangt, dass es Zeit gar nicht gebe. Diese
zunächst sehr ungewohnt klingende Auffassung ist, wenn ich
es richtig sehe, in der Tat die einzige, die nicht in Konflikt mit
den Prinzipien der Logik gerät. Auf den ersten Blick aber ist
sie natürlich ganz offensichtlich falsch!
Was soll das schließlich heißen: Es gibt keine Zeit? Natürlich
gibt es die Zeit! Sie bestimmt, mindestens in unserer Kultur, in
einem unglaublichen Ausmaß unser Leben.
Es gibt aber auch Pumuckl und Donald Duck (auch die haben
übrigens durchaus Einfluss auf unser Leben). Oder gibt es
Pumuckl und Donald Duck in Wirklichkeit nicht? |
Lassen wir die Frage offen und versuchen es mit einer Frage,
die uns Astrologen jedenfalls näher liegt: Es gibt bekanntlich
Sternbilder! Oder gibt es die Sternbilder in Wirklichkeit nicht?
Überlegen wir uns das einen Moment: Am Himmel gibt es
Sterne zu sehen. Wir fassen eine Anzahl dieser Sterne zu einer
Gruppe zusammen und geben dieser Gruppe einen Namen.
So erschaffen wir ein Sternbild. (Das ist übrigens so ähnlich
wie bei der Erschaffung eines Astrologen: In Deutschland
wird man ja einfach dadurch Astrologe, dass man sich so
nennt.)
Ich möchte diesen Gedanken, der etwas mit der Frage zu tun
hat, was wir eigentlich damit meinen, wenn wir sagen: 'Es gibt
...', noch an einem anderen Beispiel veranschaulichen: Wir
fassen die verschiedenen Fähigkeiten der Menschen,
bestimmte Arten von (geistigen) Problemen lösen zu können,
zu einer Gruppe zusammen, und geben dieser Gruppe von
Fähigkeiten den Namen 'Intelligenz'. Schon ist auch hier
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wieder eine neue menschliche Qualität geboren (um nicht zu
sagen 'erfunden'); sie besteht, wie die Sterne eines Sternbildes,
aus lauter bereits Bekanntem, das wir nur unter einem Namen
zusammengefasst haben. Aber solch ein Name hat halt seine
eigene Magie. So meinen wir Psychologen sogar zu wissen,
dass man diese (erfundene) menschliche Qualität 'messen'
könne.
Die Struktur unserer Sprache verführt uns dazu, Dingliches zu
sehen (selbst in Bewegungen bzw. Abläufen), sobald wir ein
Substantiv oder einen Namen hören. |
So kann dann der Wind
(ein Geschehen!) sogar zu einem handelnden Subjekt (einem
'Geist') werden. Wenn wir statt von 'der Wind' von 'das
Winden' sprechen würden, wäre die Gefahr geringer, doch
dann würden wir einer anderen Verführung unserer Sprache
und der 'Natur' unseres Denkens erliegen und danach suchen,
wer oder was da 'windet'. Die Welt ist für uns gar nicht anders
vorstellbar, als dass zu einer Bewegung ein Beweger gehört.
Wie soll man denn da noch denken oder gar vernünftig
miteinander diskutieren können, wenn wir nicht einmal
verstehen, was es denn bedeutet zu sagen: 'Es gibt die Zeit!' Es
ist aber nicht so verwirrend, wie es auf den ersten Blick
erscheinen mag. Wir dürfen einfach nicht vergessen, dass die
Phänomene unserer Welt auf sehr, sehr unterschiedliche
Weise Teil unserer Welt sind. Ein Gedanke ist eben auf eine
ganz andere Art Teil unserer Welt als es ein Stein ist.
Und die Zeit? In dem Sinne wie es Sternbilder, Intelligenz und den Wind gibt, in diesem Sinne gibt es selbstverständlich auch die Zeit. Und nachdem wir uns der scheinbaren Selbstverständlichkeit, dass es natürlich die Zeit gibt, vergewissert haben, möchte ich nun deutlich machen, in welchem Sinne es die Zeit nicht gibt. Wir behaupten Geräte zu besitzen, mit denen wir die Zeit messen können. Wir nennen sie Uhren. Und wie funktionieren Uhren? Sie machen nichts anderes als Veränderungen zählen. Bei der Sanduhr ist das noch ganz augenfällig (Sandkörner oben Sandkörner unten). |
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Aber auch die Quarzuhr macht
nichts anderes, als Schwingungen (also Veränderungen) zu
zählen. Machen wir ein Gedankenexperiment: Stellen wir uns vor, der gesamte Kosmos würde still stehen. Nichts, kein einziges Elementarteilchen würde sich bewegen, kein Zustand eines Teilchens würde sich verändern. Stellen wir uns also vor, der gesamte Kosmos verharre in einem bestimmten Zustand. Alle Teilchen in unserem Gehirn stünden ebenfalls still. Und selbstverständlich stünden auch alle Uhren still. Würde die Zeit dennoch weiterlaufen? Sozusagen vom Kosmos unbemerkt (denn 'bemerken' würde ja eine Informationsübertragung, also eine Veränderung bedeuten)? Und was sollte die Formulierung, die Zeit laufe weiter, dann für einen Sinn haben? Eines der unanschaulichsten und spannendsten Resultate der Quantenphysik ist die Erkenntnis, dass Raum und Zeit gequantelt sind, dass also weder der Raum noch die Zeit beliebig geteilt werden können. Es gibt eine kleinste Zeiteinheit! Das heißt, es gibt eine Zeiteinheit, die man nicht mehr weiter unterteilen kann, von der es also nicht die Hälfte gibt. Sie liegt übrigens in der Größenordnung von 10E-43 Sekunden. Diese Zahl wird vielen von Ihnen überhaupt nichts sagen. Ich will versuchen, sie ein wenig zu veranschaulichen. Vielleicht kennen einige von Ihnen das Gleichnis, mit dem uns Kindern früher der Begriff der Ewigkeit veranschaulicht werden sollte. |
Ich will dieses Gleichnis in abgewandelter Form
benutzen, um Ihnen eine Vorstellung davon zu geben, wie
unvorstellbar groß die Zahl 10E43 ist, und wie unvorstellbar
klein damit die Zahl 1/10E43 , eben 10E-43 ist. Wenn Sie sich
vorstellen, dass ein Vogel seinen Schnabel an einem Stein
wetzt und dabei etwa 1 Milligramm des Steines abreibt, dann
würde dieser Vogel, wenn er diese Handlung 10E43 Mal
wiederholt, 10E36 Tonnen Stein abgewetzt haben. das ist die
Masse von einer Milliarde Planeten in der Größe der Erde.
Und nun drehen wir es um: Wenn der Vogel für ein Mal
Wetzen nur 10E-43 Sekunden benötigen würde, dann hätte er
in einer Sekunde Zeit für das Abwetzen von Trillionen von
Gebirgen von der Größe der Alpen. Es ist also wahrlich ein sehr kleiner Zeitraum, doch wenn die Zeit fließen sollte, muss es zu jedem Zeitraum auch die Hälfte davon geben. Das aber steht im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Quantentheorie. Wenn es möglich wäre, einen Zeitpunkt in dieser Genauigkeit von 10E-43 Sekunden zu fixieren, dann wäre der nächst mögliche Zeitpunkt mindestens 10E43 Sekunden später. Einen Zeitpunkt von 10E-50 Sekunden später GÄBE ES EINFACH NICHT, ein solcher Zeitpunkt wäre nicht existent. Das hört sich nur dann fremdartig oder unglaubwürdig an, wenn man von dem Gedanken, dass es die Zeit wirklich gibt und dass sie fließt, also nicht 'ruckelt', sondern gleichmäßig fließt, nicht loslassen kann. |
Wenn man aber einmal verstanden
hat, dass Zeit nur ein Name ist, und dass unter diesem Namen
einfach die vielfältigen Phänomene der Veränderung von
Zuständen zusammengefasst werden, dann ist es gar nicht
mehr paradox, dass es einen bestimmten Zeitpunkt nicht
geben könne. Es ist genau so wenig paradox, wie dass es in
einer Straße eine bestimmte Hausnummer nicht geben kann,
weil vielleicht nur gerade Hausnummern vergeben wurden.
Versuchen wir einmal, anschaulich zu deuten (was
zugegebenermaßen nicht ganz zulässig ist, denn die
Verhältnisse in diesem Größenordnungsbereich sind mit
Anschauung eigentlich inkompatibel), was mit der Tatsache,
dass die Zeit gequantelt sei, gemeint ist. Grob vereinfacht
bedeutet es, dass der Ablauf der Geschehnisse in uns und um
uns herum dem Abspulen einer Filmrolle vergleichbar ist: Jede
Bewegung wird vom Filmapparat in 36 Momentaufnahmen
pro Sekunde zerlegt. Wir nehmen den Filmablauf als
"fließendes Geschehen' wahr, aber in Wahrheit sehen wir in
jeder Sekunde 36 einzelne Bilder hintereinander. Zwischen
zwei Bildern auf der Filmrolle liegen 1/36 Sekunden. Was in
dieser Zeit zwischen zwei solchen Bildern passiert, ist auf dem
Film nicht drauf. Jetzt versuchen Sie sich einmal vorzustellen,
alles Geschehen würde nicht nur von der Filmkamera,
sondern auch in der Realität in kleine Stücke zerlegt, und zwar
36 Stücke in jeder Sekunde. |
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Stellen Sie sich vor, dass die gesamte Welt für 1/36 Sekunde völlig starr ist und dann plötzlich ohne Zwischenstufen in den nächsten Zustand springt, und dann wieder für 1/36 Sekunden starr ist. Wenn Sie sich das vorstellen können, sind Sie schon ganz nah dran. Jetzt müssen Sie nur noch von der Vorstellung Abschied nehmen, dass zwei hintereinander liegende Zustände der Welt durch irgendetwas Raumartiges (nämlich einen ZeitRAUM) getrennt seien. Vergessen Sie die Zeit. Wenn 36 Veränderungen des Zustands unseres Kosmos zusammengekommen sind, dann zeigen unsere Uhren, dass eine Sekunde abgelaufen sei. Denken Sie einfach nur noch in hintereinander liegenden Änderungen des Zustands der Welt. Der Kosmos ändert seinen Zustand also in kleinen Portionen. Eine Sekunde ist also nichts anderes als die Summe von 10E43 kleinstmöglichen Veränderungen des Zustands unseres Kosmos. Die Uhr ist der Zeit wirklich 'wesensverwandt': Sie macht nichts anderes, als Veränderungen summieren bzw. zählen. *** |
Eigentlich bräuchten wir jetzt eine Pause, damit Sie sich an die Veränderungen der Sichtweise, die ich Ihnen hier gerade angeboten habe, ein wenig gewöhnen können. Aber wir befinden uns auf einem Kongress mit einem strengen Zeitmanagement. Wir haben also leider keine Zeit für eine Pause. :-) *** Ich frage mich: Wie kann etwas, das es eigentlich gar nicht gibt, eine Qualität haben? Fragen wir etwas weniger provozierend: Was könnte man damit meinen, wenn man von einer 'Qualität der Zeit' spricht? Ist diese Formulierung einfach Unsinn, so wie wenn man danach fragen würde, welche Farbe die Schwerkraft hat (ob die Schwerkraft also grün oder rot ist) oder wie wenn man jemanden fragen würde: 'Sind ihre Haustiere eigentlich gewerkschaftlich organisiert?' Oder ist diese Formulierung das, als das ich sie kennzeichne: eine Metapher, also eine Redewendung, die nicht im direkten, sondern nur in einem übertragenen Sinne gemeint ist (wie die Redewendung: 'Im Hafen der Ehe'). Mit einer Metapher aber kann man nichts 'erklären' (in diesem Fall die Astrologie), denn sie verweist nur auf Analogien, und mit einer Analogie etwas 'erklären' zu wollen, nennt man in der Wissenschaftsgeschichte seit dem Altertum einen 'analogischen Fehlschluss'. |
Mit einer Metapher kann man
etwas 'veranschaulichen", man kann mit ihr zum Nachdenken
anregen. Nicht mehr aber auch nicht weniger. Also lassen wir
uns doch durch diese Metapher ein wenig zum Nachdenken
anregen. Ich habe bisher sehr viel über die physikalische Realität und die physikalische Zeit gesprochen, und das ist ja auch die eine Seite der Astrologie: Charakteristisch für die Astrologie ist ja, dass sie eine Brücke von der physikalischen Realität, der Konstellation der Gestirne, zur biologischen Realität und zum Erleben eines Organismus schlägt, und genau das ist ja für viele Kritiker der Astrologie auch das Provozierende. Was bisher fehlt, ist die Betrachtung unseres Zeiterlebens. Dem möchte ich mich nun zuwenden und versuchen, etwas davon zu verstehen, was die Menschen damit meinen und meinten, wenn sie formulierten: "Alles hat seine Zeit!" oder wenn sie von "der rechten Zeit' (etwa für ein Vorhaben) sprechen, wenn sie also von der 'Zeitqualität' reden. Der älteste Nachweis für den Begriff Zeitqualität findet sich bei den 'Sieben Weisen', zu denen auch Thales gehörte, und zwar bei Pittakos (er lebte in der zweiten Hälfte des 7. vorchristlichen Jahrhunderts). Von Pittakos kennen wir 13 Sprüche, darunter einen, der aus zwei Worten besteht: Kairon gnoti: Erkenne den rechten Augenblick. |
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Aristoteles hat später
in seiner Nikomachischen Ethik eine Definition dessen
versucht, was im Bereich des menschlichen Handelns unter
dem rechten Augenblick zu verstehen sei. Er bestimmt den
rechten Augenblick (Kairos) als das Gute in der Kategorie der
Zeit, das günstige Wann in jeder Art von Bewegung (Kinesis).
Auch der christliche Festkalender bietet ein Beispiel für die
Qualifizierung der Zeit. Bekanntlich hatte das christliche
Mittelalter fast alle Tage mit einem Heiligenfest belegt, das im
Allgemeinen bei den historisch fassbaren Persönlichkeiten auf
deren Todestag gefeiert wird, so dass die Zeit hierdurch eine
ganz bestimmte Qualität erhält. Die Wahl des Todestages
eines Heiligen, die für den Träger seines Namens dessen
Namenstag ist, wurde bereits in der christlichen Frühzeit
bewusst gegenüber dem im römischen Reich üblichen
Geburtstag gesetzt, indem man den Tod des betreffenden
Heiligen als seinen 'Geburtstag zum ewigen Leben' auffasste
und so die Feier der Geburtstage bei den Heiden durch eine
solche der christlichen Namenstage ersetzte, die bis in die
frühe Neuzeit hinein darüber hinaus meist mit dem Tauftag
seines Trägers zusammenfiel. |
Durch den Berliner Kreis der religiösen Sozialisten -
Kairoskreis - wurde der Begriff der Qualität der Zeit im Jahre
1920 in die moderne theologische Diskussion eingeführt. Er
bedeutet gegenüber der formalen Zeit (der physikalischen Zeit
also), die im Griechischen mit dem Begriff Chronos
bezeichnet wird, der übrigens häufig mit dem Namen des
griechischen Wetter und Erntegotts Kronos (mit K), der bei
den Römern Saturn hieß, verwechselt wird, die 'gefüllte Zeit',
die 'rechte Zeit'.
Der Begriff einer 'gefüllten Zeit' im Gegensatz zu ihrem
physikalischen Ablauf lässt sich allerdings bereits um 250 v.
Chr. in der alttestamentischen Schrift 'Ekklesiastes'
nachweisen. Dort heißt es: Es gibt für alles Tun eine rechte
Zeit. Es meint das Tun der Menschen bezogen auf einen
rechten Augenblick: Das Gebären und Sterben, Pflanzen und
Ernten, Töten und Heilen, Zerstören und Bauen, Weinen und
Lachen, Klagen und Tanzen, Schweigen und Reden.
Irgendwie spüren wir, dass in dieser Behauptung eine tiefe
Wahrheit liegt. Aber die Wahrheit, die wir hier spüren, ist
nicht eine physikalische, oder besser gesagt eine
naturgesetzliche. |
Es geht um eine psychologische, vielleicht
auch um eine spirituelle Wahrheit. Die Wahrheit, um die es
hier geht, wird in 'Der kleine Prinz', diesem wunderschönen
kleinen Werk von Antoine de Saint-Exupery, in einer
liebenswerten Weise Kindern und Erwachsenen nahe
gebracht.
"Und die Sterne gehorchen Euch?" fragt der kleine Prinz den
König.
"Gewiss", sagte der König. "sie gehorchen aufs Wort. Ich
dulde keinen Ungehorsam."
Solche Macht verwunderte den kleinen Prinzen sehr. Wenn er
sie selbst gehabt hätte, wäre es ihm möglich gewesen, nicht
dreiundvierzig, sondern zweiundsiebzig oder sogar hundert
oder selbst zweihundert Sonnenuntergängen an ein und
demselben Tage beizuwohnen, ohne dass er seinen Sessel
hätte rücken müssen. Und da er sich in der Erinnerung an
seinen kleinen verlassenen Planeten ein bisschen traurig fühlte,
fasste er sich ein Herz und bat den König um eine Gnade. |
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"Ich möchte einen Sonnenuntergang sehen... Machen Sie mir
die Freude... Befehlen Sie der Sonne unterzugehen..."
"Wenn ich einem General geböte, nach der Art der
Schmetterlinge von einer Blume zu andern zu fliegen oder
eine Tragödie zu schreiben oder sich in einen Seevogel zu
verwandeln, und wenn dieser General den erhaltenen Befehl
nicht ausführte, wer wäre im Unrecht, er oder ich?"
"Sie wären es", sagte der kleine Prinz überzeugt.
"Richtig. Man muss von jedem fordern, was er leisten kann",
antwortete der König. "Die Autorität beruht vor allem auf der
Vernunft. Wenn du deinem Volke befiehlst, zu marschieren
und sich ins Meer zu stürzen, wird es revoltieren. Ich habe das
Recht, Gehorsam zu fordern, weil meine Befehl vernünftig
sind."
"Was ist also mit meinem Sonnenuntergang?" erinnerte der
kleine Prinz, der niemals eine Frage vergaß, wenn er sie einmal
gestellt hatte.
"Deinen Sonnenuntergang wirst du haben. Ich werde ihn
befehlen. Aber in meiner Herrscherweisheit werde ich warten,
bis die Bedingungen dafür günstig sind."
"Wann wird das sein?" erkundigte sich der kleine Prinz.
"Hm, hm!" antwortete der König, der zunächst einen großen
Kalender studierte, "hm, hm! |
Das wird sein gegen... gegen...
das wird heute Abend gegen sieben Uhr vierzig sein! Und du
wirst sehen, wie man mir gehorcht."
'Alles hat seine Zeit' bedeutet auf keinen Fall, dass es einen
Zeitpunkt gibt, an dem ein bestimmtes Tun aufgrund der
Qualität des Moments allgemein passend wäre. Es kann für
mich etwas jetzt an der Zeit sein, für das bei einer anderen
Person jetzt noch nicht die 'richtige Zeit' ist. 'Alles hat seine
Zeit', bedeutet unter anderem, dass man den zweiten Schritt
nicht vor dem ersten Schritt tun kann oder tun sollte. Wenn
wir statt 'Alles hat seine Zeit' formulieren würden: 'Für jede
Handlung gibt es die passende Gelegenheit!', dann sind wir der
Gefahr, eine Metapher wörtlich zu nehmen, schon entronnen
Wenn man der physikalischen Zeit eine Qualität zuschreibt,
dann verwechselt man den physikalischen Zeitablauf mit dem
subjektiven Zeiterleben, verwechselt die passende Stelle in
einem bestimmten Ablauf mit einem bestimmten Zeitpunkt.
Der 'richtige Moment' ist keine 'Eigenschaft' der Zeit, sondern
es ist ein bestimmter Punkt in einem bestimmten Ablauf (etwa
einer Krankheit), und es kommt auf diesen Punkt im Ablauf,
nicht aber auf den dazugehörigen Zeitpunkt an. |
Auch
'vormittags' oder 'Sonnenaufgang' sind ja in Wahrheit keine
Zeitpunkte, sondern es sind Punkte in einem Ablauf (beim
Sonnenaufgang dem Ablauf von Tag und Nacht an einem
bestimmten Ort). Wenn es eine Eigenschaft eines bestimmten
Zeitpunktes wäre, dass die Sonne aufgeht, ja dann würde sie ja
an jedem Ort der Erde zur gleichen Zeit aufgehen.
Wir Astrologen brauchen die Zeit übrigens nicht, jedenfalls
nicht mehr als alle Menschen. Wir arbeiten nicht mit Zeiten,
wir arbeiten, und das sollten wir uns bewusst machen, mit
Konstellationen. Die Zeit benötigen wir in derselben Weise,
wie wir einen Taschenrechner oder hilfsweise Tabellenwerke
benötigen: Uns geht es nämlich nicht um Zeitpunkte, sondern
um bestimmte Stellen im Ablauf der Planetenbewegungen.
Wenn die Konstellationen der Planeten unseres
Sonnensystems Ausdruck für eine 'Qualität der Zeit' wären,
dann würde diese 'Qualität der Zeit' den Kepler'schen
Gesetzen der Planetenbewegung gehorchen müssen wahrlich
eine etwas eigenartige Vorstellung.
Kommen wir zum Schluss.
Nicht der Fluss fließt, sondern das Wasser! Nicht die Zeit
vergeht, sondern wir. |
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Ich habe noch nirgendwo schöner ausgedrückt gefunden, dass
man nicht über die Zeit sprechen kann, ohne über den Tod zu
sprechen, denn das Wesen des Menschen ist dem Wesen der
Zeit sehr verwandt.
Wissen Sie noch, wann sie ihren jetzt erwachsenen Sohn oder
ihre jetzt erwachsene Tochter das allerletzte Mal, als sie noch
kleine Kinder waren, auf den Arm oder Schoß genommen und
mit ihnen geschmust haben? Meist wissen wir so etwas nicht.
Es gibt da einen Zeitpunkt, um die Pubertät herum, da wollen
die meisten Kinder nicht mehr auf den elterlichen Schoß und,
meist schon etwas vorher, sind sie auch zu schwer, als dass
man sie noch auf den Arm nehmen könnte. Irgendein Mal
aber war das letzte Mal. Wenn ihnen in dem Moment jemand
gesagt hätte: 'Du wirst deinen Sohn von nun an nie wieder auf
deinen Schoß nehmen', dann hätten sie diesen Moment mit
Sicherheit noch in Erinnerung. Sie hätten diesen Moment als
einen bedeutsamen Moment in Erinnerung. Doch da wir es in
dem Moment nicht wussten, schien es einfach ein Mal unten
vielen, vielen Malen, dass wir den Kleinen auf den Schoß
genommen haben. In Wahrheit ging in diesem Moment lautlos
ein Lebensabschnitt zuende. |
Es war eine Art Tod. Das
Charakteristische am Tod ist ja dieses 'nie wieder'. Nach
diesem allerletzten Mal kam es nie wieder vor. Meist wissen
wir gottlob nicht, dass eine bestimmte Handlung, die wir
gerade mit einem geliebten Menschen tun, jetzt das allerletzte
Mal in unserem ganzen Leben ist, dass wir es nie wieder tun
werden. Wenn wir so was immer wüssten, würden wir
vermutlich von der Bedeutungsschwere der Momente, die wir
dauernd erleben, erdrückt, würden alle Unbefangenheit mit
dem Leben verlieren. Aber wir erleben jeden Tag Dinge, die
für immer zuende sind, und was könnte Charakteristischer
sein für das Thema Tod als ein Ende für immer?
So gesehen stirbt bei Erreichen des Jugendalters ein Kind. Es
stirbt nicht von einem Tag auf den anderen. Es stirbt, wenn
man so will, langsam und kontinuierlich. Schauen Sie sich
doch ihre Kinder an? Was hat denn ihr jetzt erwachsener
Sohn, der studiert oder gerade ein Geschäft eröffnet oder
heiratet, wirklich noch gemein mit dem kleinen Jungen von 8
oder 10 Jahren, der mit heller Stimme Mama oder Papa rief,
wenn er zeigen wollte, was er entdeckt hatte, und der morgens
am Sonntag noch zu ihnen ins Bett wollte? Seine Stimme ist
anders. Sein Aussehen ist anders. Sein Verhalten ist anders. |
Er
versteht möglicherweise sogar selbst nicht mehr, wie er damals
gehandelt und gefühlt hat, sieht, in der Retrospektive,
vielleicht viele der Dinge, die er damals tat und fühlte,
ausgesprochen distanziert. Vielleicht hat er, um ein drastisches
Beispiel zu nehmen, als Kind Tiere gequält, wie manche
Kinder das tun, hat einem Frosch ein Bein ausgerissen oder
was auch immer und kann das heute gar nicht mehr gut
finden, steht dem Kind, das er damals war, heute gegenüber
wie ein Fremder.
Tatsache ist, dass es das Kind, dass er damals war, nicht mehr
gibt. Es ist genau so weit weg, wie wenn es damals gestorben
wäre. Dies gilt selbst rein körperlich: Vermutlich ist in dem
Körper des Erwachsenen kein einziges Atom mehr, aus dem
damals der Körper des Kindes bestand.
Wir drücken diese Erfahrung durch die Formulierung aus,
dass Menschen sich verändern. Nur wenn die Veränderung ein
bestimmtes Maß überschreitet, dann sagen wir: 'Du bist ein
anderer Mensch geworden!" (meist meinen wir das erst noch
als Vorwurf). In Wahrheit aber werden wir jeden Tag zu
einem anderen Menschen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. |
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