Schmerz, körperliches oder seelisches Leid, Altern und
Sterben gehören in unserer Kultur zur Schattenseite unserer
Existenz, lösen Angst in uns aus. Wir haben Leid und Tod zu
unseren Feinden erklärt. Im Kampf gegen diese Feinde geben
wir jährlich Milliarden aus. Auf der Flucht vor diesen Feinden
laufen wir ihnen immer wieder in ihre offenen Arme. Um
diesen Feinden wirksam begegnen zu können, muß man etwas
über sie wissen. Also haben sich Menschen immer wieder
damit beschäftigt, die Ursachen menschlichen Leids zu
erkennen bzw. zu erforschen. Die Frage nach Wesen und
Ursachen menschlichen Leids wurde dabei in den
verschiedenen Epochen der menschlichen Geschichte sehr
verschieden beantwortet: Rache oder gar Willkür der Götter,
böse Geister, die Strafe des einen Gottes für unmoralisches
Verhalten, |
d.h. für Verstöße gegen seine Gebote; in östlichen
Kulturkreisen: Karma, in unserer Zeit auf der einen Seite die
Auffassung von einer funktionellen Störung im chemischen
Haushalt unseres Körpers, die ggf. im Zusammenhang mit der
Vererbung gesehen werden muß, auf der anderen Seite
Entwicklungsstörungen in der frühen Kindheit oder aber
einfach mehr oder weniger „zufällig“ erfolgtes „falsches
Lernen“.
Aber auch das, was eigentlich als Leid anzusehen sei, wurde zu
verschiedenen Zeiten in unserer Geschichte und wird immer
noch in verschiedenen Kulturen, wie sie heute bestehen,
verschieden bewertet: Denken wir an die Stellung der Frau in
den Ländern des Orients, eine Stellung, die zu ertragen aus
unserer Sicht Einschränkung, Mangel an seelischen und
sozialen Entfaltungsmöglichkeiten, somit also seelisches Leid
bedeutet. Denken wir an das Fehlen von Liebe in der Ehe, das
„Nebeneinanderherleben“ von Ehepaaren (wie sie es selbst oft
nennen): Dieses Fehlen von Liebe war in den reinen Zweck-
Ehen des Mittelalters eine Selbstverständlichkeit.
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Dort war es
schließlich noch üblich, daß die Eltern ihren Kindern die
Ehepartner aussuchten. (Die „Liebesehe“ ist nämlich eine
Erfindung bzw. eine Errungenschaft der letzten zwei bis drei
Jahrhunderte.) Heute führt die damals selbstverständliche
Situation oft einen oder beide Partner in die Sprechstunde
eines Psychotherapeuten oder eines Astrologen. Wir sehen
daran, wie stark die Erfahrung von Schmerz oder Leid etwas
zu tun hat mit unserer Haltung und unseren
Wertvorstellungen, wie stark das subjektive Empfinden von
Schmerz oder Leid auch davon abhängt, welche Alternativen
ich sehe, in gewissem Sinne also abhängt von meinem
Anspruchsniveau an Glück und Schmerzfreiheit.
So gibt es denn auch innerhalb unserer heutigen Kultur, ja
sogar unter den Menschen, deren Beruf die Heilung oder
Linderung menschlichen Leids ist (also etwa Ärzte und
Psychotherapeuten), keine einheitlichen Vorstellungen über
Wesen und Ursachen menschlichen Leids, | ||
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über Wege und
Möglichkeiten der Therapie oder gar über die Ziele, die durch
solche Therapie angestrebt werden sollen. Dies wird jedem
schnell deutlich, der sich ein wenig über die verschiedenen
Formen der Therapie und die dahinterstehenden
Menschenbilder und Wertvorstellungen informiert.
Noch schwieriger, weil noch weiter in das Gebiet
weltanschaulicher Überzeugungen hineinragend, ist die Frage
nach Wesen und Ursachen des Todes. Am einfachsten
scheinen die Verhältnisse auf der rein körperlichen Ebene:
Hier erfüllen Schmerz und Tod nachvollziehbare Funktionen
für den Schutz der Unversehrtheit des Indiduums und die
Erhaltung der Art.
Ich sagte zu Beginn, daß Schmerz, körperliches oder seelisches
Leid, Altern und Sterben Angst in uns auslösen. Und das, so
denke ich, soll auch so sein: Schmerz wäre nicht Schmerz,
wenn er nicht „weh tun“ würde, wenn er nicht unangenehm
wäre, wenn er also nicht ein Zustand wäre, auf den Mensch
und Tier gleichermaßen mit Maßnahmen reagieren, die auf die
Beendigung dieses Zustandes hinzielen. Das ist ja der
biologische Sinn des Schmerzes: Er soll uns vor Schaden
bewahren! Er ist ein Alarmsignal, das uns deutlich macht, daß
unsere körperliche oder aber unsere seelische Unversehrheit
bedroht ist. |
Wie wertvoll die Fähigkeit zur Schmerzempfindung ist, ich
sage es noch einmal: die Fähigkeit zur Schmerzempfindung ist,
wurde mir durch eine Anekdote eines Mediziners einmal
drastisch bewußt. Dieser Mediziner hatte vor etwa 40 Jahren
auf einer Station gearbeitet, auf der eine Reihe von Patienten
lagen, die an Syphilis erkrankt waren. Wenn diese Krankheit
ins 4. Stadium tritt, können diese Menschen keinen Schmerz
mehr empfinden, weil die entsprechenden Nerven zerstört
sind und nicht mehr funktionieren. Der Arzt hatte einem der
Patienten ein Heizkissen gegeben. Der Patient war
eingeschlafen und hatte vergessen, das Heizkissen vorher
abzuschalten. Da die Heizkissen damals noch keine
Abschaltautomatik hatten, heizte das Kissen immer weiter und
verbrannte die Haut so stark, daß die Schwestern durch den
unangenehmen Geruch verbrannter Haut schließlich auf die
Sache aufmerksam wurden.
Der Patient hatte nichts gespürt und in seinem Schlaf (oder
vielleicht auch, weil der Geruchssinn ebenfalls nicht mehr
funktionierte) auch den Geruch nicht wahrgenommen.
Es braucht wenig Phantasie, sich auszumalen, welche
lebensgefährlichen Verletzungen wir uns täglich zuziehen
würden, wenn wir keinen Schmerz empfinden könnten. |
Und
es liegt auf der Hand, daß der Schmerz seine Alarmfunktion
nicht erfüllen könnte, wenn wir auf Schmerz nicht „alarmiert“
und mit vehementen Vermeidungsreaktionen antworten
würden. Wenn sich Schmerz nicht so unangenehm aufdringlich bemerkbar machen würde, dann würden wir wohl
in manchen Situationen aus Versehen oder weil andere Dinge
uns wichtiger scheinen, unserem Körper erheblichen Schaden
zufügen. Ich bin sicher, daß die Menschen z.B. nicht rauchen
würden, wenn der Schaden, den sie damit ihrem Körper
zufügen, sogleich durch Schmerz warnend gemeldet würde.
Im alten Griechenland wurde der Bote, der die Nachricht von
einer verlorenen Schlacht überbrachte, häufig getötet. Ähnlich
verhalten wir uns, wenn wir den Schmerz, den Überbringer
der Botschaft, den Melder einer Gefahr oder einer
„Unordnung“ in unserem Körper, als den Feind empfinden.
Der Schmerz ist, das kann man mit Fug und Recht sagen,
unser Freund. Er ist ein Freund, der uns dadurch „Gutes“ tut,
daß er so unangenehm wie möglich ist! Sowohl der Schmerz
als auch die Angst vor dem Schmerz sind notwendig, Schmerz
und die Angst vor ihm gehören funktional zusammen. Manch
einer, der unter großen Schmerzen leidet, mag sich wünschen,
für immer schmerzfrei zu sein. |
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Man kann für ihn nur hoffen,
daß keine Fee kommt, ihm diesen Wunsch zu erfüllen!
Für uns Astrologen wird dieses biologisch wie psychologisch
lebensnotwendige, lebenserhaltende Prinzip, das ich hier
gerade beschreibe, durch den Planeten Saturn symbolisiert.
Wir sind mit seinen Eigenheiten viele Jahrhunderte hindurch
ebenso umgegangen wie die Griechen mit dem erwähnten
Boten. Wir nannten ihn den Übeltäter, weil er schmerzhaft auf
Unordnung in unserem Körper und in unserer Seele
aufmerksam macht. Von den Reifungs- oder
Wachstumskrisen, in die wir durch ihn gestoßen werden,
bemerkten wir nur den unangenehmen Aspekt, den jede Krise
hat (haben muß), sahen in ihm eine Naturmacht, die
Depressionen bringt und uns Prüfungen auferlegt. Dieses Bild
hat sich mittlerweile, nicht zuletzt unter dem Einfluß von
Astrologen wie Dane Rudhyar, Liz Greene und Stephen
Arroyo, in Deutschland unter dem Einfluß von Astrologen
wie Thomas Ring und Fritz Riemann, sehr gewandelt. Doch
der Prozeß der Neubewertung von Prinzipien wie Saturn und,
speziell heute, auch von Pluto, scheint mir noch längst nicht
abgeschlossen, und ich möchte mit diesem Vortrag einige
zusätzliche Aspekte beitragen. |
Ich sprach davon, daß der Schmerz unser Freund sei, ein
Freund, der gerade dadurch „Gutes“ zu bewirken imstande ist,
daß er so unangenehm wie möglich ist, daß wir Angst vor ihm
haben.
Wie nun ist es mit dem Tod? Ist auch er unser Freund? - Ich
erinnere mich an eine Fernsehsendung, die sich mit dem
programmierten Lebensalter der verschiedenen Gattungen
beschäftigte. Das Lebensalter wird durch die festgelegte Zahl
der möglichen Zellerneuerungen und das erreichbare Alter
einzelner Zellen bestimmt. Beim Menschen sollen etwa 10
Zellerneuerungen programmiert sein, die im Durchschnitt alle
7 Jahre stattfinden, was einer natürlichen Lebenserwartung
von durchschnittlich 70 Jahren entspräche.
Ich erinnere mich, daß der Moderator tröstend anführte, daß
unser individueller Tod zwar bedauerlich sei, daß wir aber
doch uns klar sein sollten, daß nur der individuelle Tod
gewährleiste, daß eine Art sich in der Evolution überhaupt
entwickeln könne. Es gäbe also gar keine Menschen, würden
Leben und Tod sich nicht abwechseln; wir würden auf der
Erde nämlich beim Stadium der Einzeller stehengeblieben
sein, wenn es keinen Tod gäbe. |
- Ich glaube jedoch, daß ich
bei den meisten keinen großen Widerspruch erfahren werde,
wenn ich darüberhinaus behaupte, daß die Vorstellung, nie
sterben zu dürfen, auf dieser Erde, in dieser Existenzform
ewig verweilen zu müssen, ohnehin etwas Grausames hätte:
Wir sind für die Ewigkeit nicht angemessen ausgestattet, selbst
dann, wenn uns Krankheiten jeder Art erspart blieben.
Doch auch beim Tod gilt, daß die Angst vor ihm gleichzeitig
ein Schutz ist. Wir bedürfen des Todes und wir bedürfen der
Angst, damit in der vorgesehenen Spanne des Lebens das
Individuum und die Art vor der Ausrottung geschützt sind. Es
würde uns Menschen wohl wirklich gar nicht geben, wenn nicht der sog. „Selbsterhaltungstrieb“ eine der stärksten Kräfte
in uns wäre. Wenn wir daran denken, wofür Menschen trotz dieser Angst
vor dem Tode zu sterben bereit waren und zu sterben bereit
sind (etwa um der Ehre willen auf dem Schlachtfeld ), wieviel
leichter noch würden sie ihr Leben verschenken, vergeuden,
wenn der Tod nicht einmal mehr angstbesetzt wäre? Stünden
wir dem Sterben gleichgültig gegenüber, würden wir dann z.B.
die im Leben unvermeidlichen Krisen, die teils sehr
schmerzvollen Phasen des Reifens überstehen? - |
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Wenn ich mir
die Selbstmordrate ansehe, die trotz dieser Angst vor dem
Sterben immer noch so hoch liegt, sogar bei Kindern, dann
wage ich zu bezweifeln, daß unsere Rasse ohne diese Angst
vor dem Tod überhaupt existieren würde! Angst vor Schmerz und Angst vor dem Tod sind also nicht
nur verständlich, sie sind sogar notwendig zur Sicherung
unserer Unversehrtheit und Erhaltung unserer Art. Welchen
Sinn macht dann der Titel dieses Workshops: „Sterben lernen,
um leben zu können“? Klingt das nicht so, wie wenn wir
lernen sollten, die Angst vor dem Sterben zu überwinden? Ist
es nicht ein Widerspruch zu der Erkenntnis, daß diese Angst
notwendig ist? - Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch, was
ich am besten wiederum an einem Beispiel verdeutliche: Eine
Schlangen-Phobie, d.h. eine irrationale und krankhafte Angst
vor Schlangen, kann, wenn sie sehr extrem ist, zu einer
ernsthaften Beeinträchtigung eines normalen Lebensablaufs
werden. Menschen mit einer solchen Phobie trauen sich nicht
mehr, im Wald spazieren zu gehen, haben Angst, über Rasen
zu gehen, haben vielleicht sogar Angst, |
durch den bepflanzten
Vorgarten ihres Hauses hindurchzugehen, trauen sich im
Extrem also gar nicht mehr aus dem Hause. Im Kern hat ihre Angst ja sogar einen vernünftigen Sinn, denn
es gibt giftige Schlangen! Und wehe dem Therapeuten, der
diese Phobie so „endgültig“ kuriert, daß der Patient Schlangen
fortan als liebe, ungefährliche Schmuse- Tierchen empfindet,
die er zudem vielleicht dauernd streicheln möchte...
Die Vermeidung von Schmerz und die Vermeidung von Tod
sind also nur sinnvoll, wenn wir dies in der richtigen Weise
verstehen! Schmerz z.B. sollen wir vermeiden, dadurch
nämlich, daß wir Dinge unterlassen, die unsere Unversehrtheit
bedrohen. Pervertiert wird der Sinn der Schmerzvermeidung
z.B. dann, wenn ich zunächst Dinge tue, die etwa die
Gesundheit meines Körpers ruinieren und dann Chemikalien
einnehme, um die Folgen meiner Handlung weniger spüren zu
müssen (z.B. Aspirin nach einer „Sauftour“). In der Regel
ruiniere ich damit ja meine Gesundheit sogar noch weiter!
Ich habe nichts gegen eine Sauftour und auch nichts gegen
Aspirin. Ich will mit diesem Beispiel nur sagen, daß es zwei
verschiedene Arten der Vermeidung von Schmerz gibt: |
die
eine steht im Dienste der Erhaltung unserer Unversehrtheit,
die andere verkehrt diesen Sicherungsmechanismus geradezu
ins Gegenteil: Die Vermeidung des Schmerzes wird zu einer
zusätzlichen Bedrohung für unsere Unversehrtheit.
Ich kenne eine Frau, die seit der Jugend von verschiedensten
Krankheiten betroffen wurde, die z.T. auch sehr schmerzhaft
sind (z.B. Rheuma). Sie hat seit ihrer Jugend sehr viele
Medikamente eingenommen. Hat sie Schmerzen, nimmt sie
eine Schmerztablette, kann sie dann schlechter schlafen (was
bei Schmerz-tabletten zuweilen als Nebenwirkung auftritt),
dann nimmt sie eine Schlaftablette. Ist sie morgens
abgeschlagen von der evtl. noch nicht ganz abgeklungenen
Wirkung der Schlaftablette, dann trinkt sie einen starken
Kaffee, usw.
Ich habe ihr einmal zu bedenken gegeben, daß man ein
gewisses Maß an Unwohlsein evtl. ertragen könnte, ohne
sogleich etwas dagegen einnehmen zu müssen. Sie antwortete
mir darauf, daß Schmerz zu ertragen noch nie ihre Sache
gewesen sei, das sei ja auch heutzutage wirklich nicht mehr
nötig. - Letztes Jahr nun wurde sie in der Klinik untersucht,
weil sie an starken Kopfschmerzen litt. |
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Sie forderte von den
Ärzten unwirsch Mittel zur Linderung des Schmerzes: Die
Medizin sei ja doch wohl weit genug, so daß es nicht nötig sei,
daß sie diesen Schmerz ertrage. Die Ärzte erklärten ihr, daß sie
gegen diesen Schmerz machtlos seien, denn er sei gerade die
Folge eines hohen Tabletten-konsums über Jahrzehnte
hinweg, könne daher nicht wiederum durch Medikamente
beseitigt werden, denn jedes weitere Medikament
verschlimmere immer weiter den Zustand.
Dieses Beispiel zeigt, daß die Vermeidung von Schmerz zu
einer Falle werden kann. Wir würden allerdings dem
unsäglichen Leid vieler Menschen, die manchmal schon seit
der Geburt an schwersten schmerzvollen Erkrankungen
leiden, nicht gerecht, wollten wir nun ins entgegengesetzte
Extrem verfallen und die Möglichkeiten der modernen
Medizin, Leiden zu lindern, gänzlich ablehnen.
Selbst dort, wo der Schmerz, den wir erleben müssen, die
Folge eigener Fehlhandlungen ist: Wenn moderne Medizin es
möglich macht, daß wir für die Folgen solcher
Fehlhandlungen nicht in vollem Umfange einstehen müssen,
dann spricht m.E. nichts dagegen, sich dieser Hilfen zu
bedienen. Nur eines dürfen wir nie vergessen: |
Komfort dieser
Art hat seinen Preis. Solange wir uns dessen bewußt sind, den
Preis kennen und ihn akzeptieren, solange sind wir sogar in
der Krankheit gesund: wir haben als Menschen die
Möglichkeit, uns auch zur Krankheit zu entscheiden, ggf. andere Werte höher zu stellen.
Menschen neigen bei Problemen jeder Art zu
„Patentlösungen“: Sie tendieren dazu, eine richtige Einsicht zu
verabsolutieren und dann für die ganze Wahrheit zu halten.
Mir ging es bei den bisherigen Bemerkungen darum zu
vermeiden, daß „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“
würde, daß einige ganz einfache Zusammenhänge aus dem
Blickfeld verlorengehen. Astrologisch gehört das Thema Tod
und Sterben zu Saturn und Pluto. Ist der Schmerz noch eine
„individuelle“ Lebensfunktion, dient also dem Schutz und der
Unversehrtheit des Individuums, so ist der Tod vom
Individuum her nicht mehr verständlich: der Tod ist,
biologisch gesehen, das Ende der individuellen Existenz. Die
biologische Notwendigkeit des Todes ist nur vom Kollektiven
her, von Notwendigkeiten her zu verstehen, deren Ziel nicht
mehr die Erhaltung und Unversehrtheit des Individuums,
sondern die Erhaltung und Weiterentwicklung der Art ist. |
So
verkörpert Saturn mit der Angst vor dem Tode, die er in uns
auslöst, den Aspekt der Selbsterhaltung des Individuums,
Pluto jedoch den die individuelle Selbsterhaltung
transzendierenden Aspekt der Erhaltung der Art.
Saturn und Pluto sind also „natürliche“ Gegenspieler,
symbolisieren Naturkräfte, die in Gleichgewicht sein müssen,
damit die Art sich einerseits nicht selbst auslöscht, andererseits
nicht „ewig“ lebt und dadurch Erneuerung und Weiterentwicklung verhindert. Obwohl nun Pluto
Naturprinzipien symbolisiert, die nicht direkt für das einzelne
Individuum biologisch bedeutsam sind, so wirkt er natürlich
dennoch im einzelnen Individuum und durch dieses
Individuum. Wir spüren seine Macht aber häufig in einer
anderen Weise als bei den sog. persönlichen Planeten. Wenn
wir unseren Mars spüren, dann sagen wir am ehesten: „Ich bin
wütend“ oder „Ich bin aktiv“. Nicht so bei Pluto. Wir sagen
eher: „Ich spüre da eine Kraft in mir, die mich mitreißt“ oder
„Ich bin besessen von einer Kraft“ oder „Da ist etwas in mir,
daß nach Ausdruck verlangt“. Pluto wird häufig als etwas
empfunden, das von uns Besitz zu ergreifen scheint, häufig
daher auch „externalisiert“ und als schicksalhafter Eingriff in
mein Leben erfahren. |
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Um es noch einmal zu sagen: Mir scheint es wichtig und
richtig, daß wir Angst vor dem Sterben haben. Nun aber
können wir uns, gestärkt durch die Verankerung in einer
gesunden Angst vor dem Sterben, einigen Aspekten unserer
kulturspezifischen Sterbe-Phobie zuwenden: Die Angst vor
dem Sterben hat viele Gesichter. Die meisten
Erscheinungsformen dieser Angst lassen sich allerdings unter
einem Begriff zusammenfassen: Verdrängung (oder
Verleugnung). Wir befolgen nicht den Rat weiser Vorfahren
von uns: „Memento mori!“ (Gedenke des Todes). „Memento
Mori”
Wie gefährlich die Verdrängung der Wahrheit ist, das erlebe
ich täglich als Psychotherapeut: Verdrängte Trauer wird zu
Depression, verdrängte Aggression führt zu einem Unfall oder
somatisiert sich in einem Magengeschwür oder gar in Krebs,
verdrängte sexuelle Begierde führt zur Verhärtung der
Gefühle, zu zwanghaften Verhaltensweisen oder zu Gefühlen
von Sinnlosigkeit. Kollektiv erleben wir die Gefahren der
Verdrängung an der Zerstörung unserer Umwelt. Unsere
ganze Erde leidet an „Lungenkrebs“, weil die Schlote zuviel
rauchen: Waldsterben als Folge der Vergiftung der Lunge der
Natur. |
Diese Krankheit war vorhersehbar, doch wir haben sie
kollektiv verdrängt.
An diesen Beispielen wird überdeutlich, daß Verdrängung: die
Aufrechterhaltung eines Schein-Wohlbefindens, teuer
kommen kann. Daß nicht einmal dieser offenbare
Zusammenhang die Menschen zu einer Änderung ihres
Verhaltens bewegen kann, legt die Vermutung nahe, daß
neben der Verdrängung (also einer „saturnischen Kraft“)
vielleicht noch eine andere Kraft am Werke ist, die sich der
Verdrängung nur als Instrument bedient, eine plutonische
Kraft. Wenn Saturn und Pluto nicht im Gleichgewicht sind,
wenn saturnische Verdrängung überhand nimmt, dann führt
die daraus resultierende „Sterbe-Phobie“ (die Übersteigerung
unserer natürlichen und lebensnotwendigen Angst vor dem
Sterben) zu Zerrformen des Umgangs mit dem Tod. Doch
dazu später.
Zunächst möchte ich versuchen zu klären, welche Folgen
denn die Verdrängung des Sterbens für uns individuell, aber
auch für unsere Kultur allgemein hat: Unter den Übungen, die
ich in meinen Selbsterfahrungsgruppen den Teilnehmern
anbiete, ist mir immer eine Übung besonders wichtig: die
Todesphantasie. |
Die Teilnehmer werden gebeten, sich
entspannt und mit geschlossenen Augen im Raum
aufzustellen. Nach einigen Minuten des Sammelns gebe ich die
Aufgabe, sich nun den eigenen Tod vorzustellen; jeder soll
einfach die Bilder kommen lassen, die aus seinem Inneren
dazu aufsteigen: Wie werde ich sterben? Wird es ein friedlicher
oder ein gewaltsamer Tod sein? Werde ich allein sein oder
wird jemand bei mir sein? Werde ich Angst haben oder gefaßt
sein? Wie alt werde ich sein? Jeder wartet, bis sich Bilder
einstellen, und wenn der Ablauf der Bilder aus seinem Inneren
den Moment des Todes erreicht hat, dann legt sich der
Teilnehmer auf den Boden. Nun stellt er sich seine Beerdigung
vor: Welche Menschen sind dabei? Wie verhalten sie sich? Wie
erlebt er, nicht mehr unter den Lebenden, als eine Art
Beobachter, diese Menschen nun? Wie fühlt sich der
„Abschied“ an?
Und schließlich: Was kommt danach? Gibt es ein Danach und
welche Bilder oder Empfindungen stellen sich dazu ein.
Ich nehme an dieser Übung auch selbst immer teil, bin also,
wenn Sie so wollen, schon mehrere Tode gestorben! Und der
Tod, der sich da vor meinem inneren Auge vollzog, war
jedesmal ein anderer. |
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Auch die Gefühle waren immer andere.
Sie gehörten wohl jeweils zu der Zeit, in der ich diese Übung
machte, spiegelten irgendwie den Zustand, in dem ich gerade
war. Ich möchte Ihnen mein erstes und für mich
beeindruckendstes „Todes-Erlebnis“ gern schildern: Es war
ein Verkehrsunfall. Ich war, wie ich es so oft bin, in Eile und
hatte ein riskantes Überholmanöver eingeleitet. Es war wohl
Abend oder Nacht. Bevor ich den Überholvorgang zu Ende
führen konnte, tauchten vor mir zwei riesengroße
Scheinwerferlichter eines entgegenkommenden LKW auf, die
rasend schnell näher kamen. Ich hörte ein lautes Tosen von
Motorgeräuschen, Hupen, quietschenden Reifen, das in
Sekunden zu einem ohrenbetäubenden Lärm anschwoll, um
dann jäh abzubrechen. Plötzlich war Stille, absolute, irgendwie
friedliche Stille.
Ich sah mich etwas später auf dem Gehsteig liegen, Menschen
um mich herum. Anscheinend war ich wohl schon tot. Ein
Krankenwagen kam und mein Körper wurdeauf eine Bahre
gelegt. Ich sah, wie mein Körper fortgetragen wurde. In
diesem Moment stellten sich die ersten wirklich spürbaren
Empfindungen bei mir ein: Es war Wehmut. Ich nahm
Abschied von meinem Körper. Und mir schien in dem
Moment, daß dieser Abschied die Urform von Abschied
überhaupt sei, daß dieser Schmerz die Urform von Trauer sei. |
Mir wurde bewußt, was dieser Körper mir ein Leben lang
gegeben hatte. Ich war traurig bei dem Gedanken, nie wieder
Wärme oder Kälte spüren zu können, nie wieder den Geruch
des Waldes oder den Geruch eines begehrten Menschen
riechen zu können, mit meinen Fingerspitzen nie wieder Haut
zu spüren. Zudem empfand ich meinem Körper gegenüber
Ähnliches, wie einem geliebten Menschen gegenüber, von dem
ich nun für immer Abschied nehmen müßte.
Mir wurde deutlich, wie stark „Leben“, zumindest für mich
und zumindest in dem Moment, bedeutet, einen Körper zu
haben, vielleicht sollte ich besser sagen: Körper zu sein,
körperlich zu sein. Was immer nachher sein sollte, sei es
Glückseligkeit, sei es Warten auf die nächste Inkarnation, eines
scheint mir sicher: Es ist eine Existenz ohne diesen unseren
Körper, denn dieser unser Körper verwest nach unserem
Tode. Es muß also mit diesem Körper auch etwas auf sich
haben in unserem Erden- Dasein, denn Körper zu sein, dieser
Körper zu sein, der wir sind, scheint mir ein wesentliches
Merkmal unserer jetzigen Existenz.
Wir haben eine lange Tradition der Diskreditierung des
Körperlichen. In einer Liebesbeziehung zu einem anderen
Menschen beeilen wir uns zu versichern, daß unser Interesse
nicht nur körperlich sei. Wir können uns zwar gut vorstellen,
daß unser Interesse nur geistig ist, das empfinden wir als edel
und gut. |
Doch daß es nur körperlich ist, das empfinden wir als
unanständig, primitiv oder was auch immer. Welch
merkwürdige Asymmetrie unserer Werte!
Wir wissen so wenig davon, welch intensiver Austausch an
Energie, welch intensives Zwiegespräch stattfindet, wenn zwei
Körper sich kultiviert begegnen. Nur durch dieses Unwissen
ist es mir erklärlich, daß wir so dumm sein können, dem
Geistigen a priori einen höheren Wert zuzubilligen als dem Körperlichen. Gehört nicht beides zu unserer Welt? Sind wir
nicht mit Geist und Körper ausgestattet? - Wobei ich mir
sogar überlege, ob in dieser Existenz nicht das Körperliche das
Eigentliche, das Charakteristische sei! Denn das geistige
Prinzip scheint nicht das zu sein, das für diese Existenz
typisch ist, das Geistige scheint das zu sein, welches auch in
anderen Formen der Existenz unserer Seele, falls es solche
gibt, weiterbesteht.
Das Körperliche gering zu achten, heißt meines Erachtens,
diese Form unserer Existenz gering zu achten!
Von einem anderen Standpunkt aus betrachtet kann man
natürlich mit gutem Recht sagen, daß das Körperliche in
unserer Kultur geradezu überbetont wird. Das macht es doch
schließlich so schwer, in Würde zu altern, in einer
Gesellschaft, deren Ideale jugendliche Vitalität und Schönheit
sowie Gesundheit im Sinne von Leistungsfähigkeit bzw.
Funktionsfähigkeit sind. |
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Das ist allerdings richtig! Und hier spüren wir eine der Folgen
der Verdrängung des Sterbens. Alles, was wir verdrängen, muß
zwangsläufig in weniger kultivierter Form einen Weg des
Ausdrucks finden. Das gilt auch für Altern und Sterben. Es ist
wirklich schwer, in unserer Gesellschaft in Würde zu altern.
Und meiner Ansicht nach ist es ebenso schwer, in Würde zu
sterben.
Eine der traurigen Folgen unserer Verdrängung des Todes ist,
daß wir nicht in Würde und erhobenen Hauptes dem Tode ins
Auge sehen können, sondern ihm oft in einem sinnlosen, vor
allem aber meist würdelosen Kampf Minuten, Stunden oder
Tage abringen, um dann häufig „zu verenden statt zu sterben“.
In unserer Verdrängung des Todes haben wir das Gespür
verloren, wann es richtig ist, mit dem Tode zu kämpfen, weil
das Leben stärker ist, und wann es richtig ist, loszulassen.
Aber auch das zuvor Gesagte stimmt: Für unsere Kultur ist sowohl die Überbetonung des Körperlichen im beschriebenen
Sinne typisch als auch die Geringschätzung, und
wahrscheinlich entspricht beides sich! Die Überbetonung des
Körperlichen als Jugend und Schönheit ist der Ausdruck der
Verdrängung von Altern und Tod. |
Und wie bei jeder durch
Verdrängung verursachten Einseitigkeit drängt auch der
entgegengesetzte Pol nach Ausdruck, sei er auch entstellt und
daher oft in seinen Ursachen schwer erkennbar.
Die Schwierigkeiten, die unsere Kultur mit der Bewältigung
der Sexualität hat, – und die sind offenbar, gehen Hand in
Hand mit unserer Verdrängung des Todes. Die
Diskreditierung des Körperlichen ist für mich Ausdruck einer
Ablehnung unserer Existenz schlechthin, der zwingende
Gegenpol also zur Ablehnung von Altern und Sterben! Weil
wir nicht sterben wollen, läßt unser Unbewußtes uns auch
nicht wirklich leben! Das ist der Preis der Verdrängung!
In der Sexualität berühren sich Leben und Tod besonders eng.
Bei bestimmten Tierarten gilt das wörtlich: Sie sterben nach
der Erfüllung Ihres Instinktes zur Fortpflanzung. Beim
Menschen gilt es zunächst im übertragenen Sinn: In der
viktorianischen Zeit nannten die Engländer den Orgasmus
„The little Death“ (der kleine Tod). Sexualität wirklich zu
erleben bedeutet die Fähigkeit, sich fallen lassen zu können,
loslassen zu können (die Kontrolle aufgeben zu können). In
einer tief empfundenen sexuellen Vereinigung lösen zwei
getrennte Existenzen sich in einer Zwei-Einheit auf. |
Dieses Erlebnis macht manchen Menschen Angst, und diese
Angst kann die Ursache von Problemen im Partnerbereich
sein. Die Sehnsucht eines Partners oder auch beider Partner
nach dem Erlebnis einer solchen Vereinigung bleibt unerfüllt,
löst Enttäuschungs- und Unzulänglichkeitsgefühle aus. An
diesem Beispiel sehen wir einen direkten Zusammenhang
zwischen der Angst vor dem „Sterben“ und der Unfähigkeit
zu „leben“. An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, daß
Sterben im Sinne von „ganz loslassen“ einen Lustaspekt hat.
Und damit nun nähern wir uns der Art und Weise, in der das
Plutonische originär in uns verankert ist. Sterben ist vielleicht
nicht nur etwas, das uns widerfährt, dem wir uns
notgedrungen stellen müssen: Es gibt vielleicht auch eine Lust
zu Sterben. Da dieser Bereich tabuiert ist, fällt es den meisten
sicher schwer, diesen Lustaspekt überhaupt geistig für möglich
zu halten, geschweige denn, ihn emotional zuzulassen. |
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9 |
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Es mag
daher zunächst einfacher sein, diesen Gesichtspunkt im
Zusammenhang mit dem Thema Schmerz zu untersuchen:
Wir alle wissen, daß es zumindest in der Sexualität zwischen
Schmerz und Lust einen fließenden Übergang gibt. In
höchster Erregung können Reize als luststeigernd erlebt
werden, die in ruhigem Zustand als unangenehm, schmerzend
oder ekel-erzeugend erlebt werden würden. Wir dürfen in allen
Bereichen der menschlichen Seele sicher sein, daß einer
intensiven (ggf. angstvollen) Ablehnung immer auch eine
intensive (ggf. lustvolle) Faszination gegenübersteht. Das ist
bei Schmerz und Tod nicht anders!
In der von uns als krankhaft empfundenen sadomasochistischen
Beziehung zweier Menschen wird deutlich,
daß in bezug auf die Kategorie aktiv/passiv, Opfer/Täter
immer beide Teile in jeder der beteiligten Personen enthalten
sind. Der Masochist ist angewiesen auf das Bewußtsein, daß es
seinem „Peiniger“ Lust bereitet, ihm die Schmerzen
zuzufügen. |
Der Sadist erlebt immer auch identifizierend die
Lust des Masochisten mit. Daß diese Einschätzung richtig ist,
kann man daran ablesen, daß die Rollen in einer solchen
Beziehung sehr leicht vertauscht werden können.
Konsequenterweise müßte dies auch für das Töten und
Getötet-Werden gelten: Im Zusammenhang mit dem Inzest-
Tabu hat Sigmund Freund uns schon darauf hingewiesen, daß
Tabus nicht dann entstehen, wenn Menschen natürlicherweise
ohnehin kein Bedürfnis zu bestimmten Handlungen haben,
sondern daß Tabus überall dort entstehen, wo eine starke
Neigung der Menschen zu einer Handlung besteht, die
kollektiv als unerwünscht oder gefährlich angesehen wird. Die
Stärke eines Tabus läßt immer Rückschlüsse auf die Intensität
des unterdrückten Wunsches zu!
Was müssen wir daraus ableiten, wenn wir uns die Intensität
der Tabuierung des Todes in unserer Kultur
vergegenwärtigen? |
In 3500 Jahren Geschichte insgesamt 243
Jahre ohne Krieg, die Lust der Menge an den Massakern der
Gladiatoren in den römischen Arenen, die gutbesuchten
öffentlichen Hinrichtungen in früheren Zeiten, spanische
Stierkämpfe, die Grausamkeiten in den KZs des Dritten
Reiches und die Ausschreitungen amerikanischer Soldaten in
Vietnam, Katastrophenfilme wie „Der weiße Hai“, aber auch
12.000 Verkehrstote jährlich auf bundesdeutschen Straßen. Ist
das die Antwort?
Tabus haben als Stabilisatoren menschlicher Gemeinschaften
ihren guten Zweck. In Schwierigkeiten kommen wir immer
dann, wenn wir ein Tabu ein klein wenig brechen, eine erste
scheinbar harmlose Frage stellen. Wir müssen uns zwischen
Klarheit und der Aufrechterhaltung eines Tabus immer
entscheiden, beides ist nicht gleichzeitig möglich. Wenn wir
ein Tabu aufrechterhalten, dann ist das m.E. im Prinzip in
Ordnung, in bestimmten Fällen sogar gut und wünschenswert. |
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10 |
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Wir dürfen uns dann nur nicht wundern, wenn bestimmte
Themenbereiche undurchschaubar bleiben, bestimmte eigene
Wünsche, Träume oder Verhaltensweisen uns unverständlich,
krankhaft oder pervers erscheinen.
Und wenn eine Kultur darin versagt, für einen bestimmten
Seelenanteil ein konstruktives Realisierungsfeld zu bieten,
dann realisiert sich dieser Bereich unkultiviert und destruktiv. Gibt es sie: die Lust zu töten und die Lust zu sterben? Gibt es
sie, die Lust an der Destruktion? Gibt es einen Todestrieb?
Und wenn es sie gibt, wie kann man damit umgehen?
Ganz offenbar gibt es sie, die Lust zu töten, und es gibt eine
Lust zu sterben - es gibt die Lust an der Destruktion. Vietnam
und das Dritte Reich konfrontieren uns mit den Abgründen
dieser Lust, doch der eine oder andere von uns kennt vielleicht
auch selbst ihre eigentümliche Faszination, sozusagen „im
Kleinen“: denken wir an die grausamen Spiele, die Kinder und
Jugendliche mit Tieren zu spielen in der Lage sind!
Diese „Lust“ ist Ausdruck eines Naturprinzips, eines
Archetyps, eines biologischen und seelischen Ur-Sachverhaltes, den wir Astrologen verkörpert finden im
Symbol des Planeten Pluto. |
Im Kampf mit Angst und
Gewissensnot äußert sich dieses Prinzip selten als „Lust“, wir
erleben es eher als „Grauen“. Daß dieses Grauen jedoch
offensichtlich auch Lustaspekte hat, zeigt der Absatz einer
bestimmten Sorte von Filmen: auf primitivem Niveau etwa der
Film „Muttertag“, auf diabolisch sublime Weise unter die Haut
gehend bei Pasolinis Film „Die letzten 120 Tage von Sodom“.
Destruktion wie auch Selbstdestruktion sind auch nicht ohne
Sinn. Es gibt sie sogar im Tierreich. Bestimmte Tierarten
verüben, wenn sie in ihrer Zahl zu stark angewachsen sind,
kollektiven Selbstmord. Häufig ist das Neue wirklich nur
möglich, wenn zunächst das Alte zerstört wird (wie ich es auch
am Beispiel der Evolution der Arten schon demonstrierte).
Und wir können mit diesen Impulsen umgehen - umgehen
lernen, dank der Macht der Symbole, dank der psychischen
sich dieser Mechanismen sehr ausgiebig in ihren magischen
Ritualen. Wir bedienen uns dieser Mechanismen ebenso
ausgiebig in unseren Träumen, bei der symbolischen
Darstellung seelischer Konflikte in Form körperlicher
Erkrankungen, vor allem aber in der Kunst, hier am
deutlichsten nachvollziehbar beim Theater, das ja auch
tatsächlich aus kultischen Handlungen entstanden ist. |
Die
Macht symbolischer Handlungen spüren wir deutlich in vielen
Formen der Interaktion zwischen Menschen: Wir können uns
zutiefst „verletzen“, ohne uns auch nur körperlich berührt zu
haben. Es gibt psychische „Waffen“, den Ruf-“Mord“, Rede-
“Schlachten“ usw. Fast noch deutlicher sehen wir solche
Symbolisierungen in unseren „Gesellschaftsspielen“: Warum
wohl fällt es vielen Menschen dabei so schwer zu verlieren, wo
es doch „nur“ ein Spiel ist? Und es gibt noch einen Bereich, der mit diesem Thema aufs engste verknüpft ist, der uns helfen kann, diese archaischen Kräfte zu bändigen und zu kultivieren: die Sexualität. Es ist nämlich etwas dran an den moralisierenden Wehklagen der Sittenrichter, die darauf verweisen, daß frühere Kulturen immer dann zugrunde gingen, wenn die „Sitten verfielen“, wie sie es nennen. Wir müssen uns nur klarmachen, was es früher bedeutet hat, daß eine Kultur unterging: nachlassender Kampfgeist nämlich, eine schwache Armee ohne streitbare Soldaten. Zur Aufrechterhaltung des Kampfgeistes ist die Unterdrückung der Befriedigung sexueller Bedürfnisse sehr effektiv. Befriedigte sexuelle Bedürfnisse machen den Menschen sanfter. |
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Woran aber liegt es, daß wirklich befriedigte sexuelle
Bedürfnisse sanfter machen? Ist es wie bei befriedigten oralen
Bedürfnissen? Ist es Müdigkeit wie nach einem guten Essen? -
Wir wissen, daß es das nicht ist, denn die Befriedigung wirkt ja
im Gegenteil sogar energetisierend, weckt und mobilisiert
Kräfte - Kräfte nämlich, die bis dahin gebunden waren,
aufgebraucht wurden, um Impulse zu unterdrücken! Ich meine, daß wir sanfter werden, weil in der Sexualität auf symbolische (in bestimmten Fällen allerdings auch auf ganz reale) Weise aggressive Impulse ausgelebt werden (können) und weil wir im Moment der Exstase loslassen, uns verlieren, vielleicht sogar „mit dem Kosmos verbinden“, wie (vielleicht) im Moment des Todes. In der Sexualität erleben wir in symbolisierter Form Töten und Sterben, besser gesagt: Wir können es dort erleben. Es gilt für jeden seelischen Impuls: Unterdrückung ist gefährlich. Die richtige Antwort heißt: Kultivierung. Was hilft es uns nun im Kontext unserer Erörterungen, wenn wir der Angst vor dem Sterben (also dem Saturn) die Lust zu sterben (also der Kraft des Pluto in uns) als einen ebenfalls stark wirkenden seelischen Mechanismus gegenüberstellen? |
Macht
dieses Bewußtsein uns das Sterben leichter? Meines Erachtens:
Ja! Es hilft uns, den Tod nicht mehr einseitig nur als unseren
Feind zu betrachten, ihn nicht mehr nur als ein Übel zu
empfinden, von dem wir heimgesucht werden. Wenn wir das
Bewußtsein zulassen lernen, daß wir den Tod als einen Impuls
in uns tragen, dann sind wir vielleicht auch eher bereit, uns mit
ihm als einem Teil von uns selbst auseinanderzusetzen. Sterben zu können heißt loslassen zu können, Abschied nehmen zu können, aufgeben zu können. So gesehen sterben wir im Laufe unseres Lebens viele Tode: Der Verlust eines über alles geliebten Menschen, der Zusammenbruch des Geschäfts, der ruinierte Ruf, aber auch die zerstörte Illusion (von was auch immer) oder nur das verlorene Weltmeisterschafts- Spiel unserer National-Elf. Sterben zu lernen bedeutet ganz allgemein die Fähigkeit, Dinge annehmen zu können, die nicht oder nicht mehr veränderbar sind. Und es ist wichtig, sich darüber klar zu sein, daß es in unserer Seele eine Kraft gibt, die uns aktiv in solche Situationen führt, in denen wir dem Tod in einer seiner Erscheinungsformen begegnen. |
Unsere Seele ist weise und wir täten gut daran, uns ihrer Führung anzuvertrauen. Schmerz, Leid, Altern und Sterben positiv in unser Leben einzubinden, macht unser Leben intensiver, reicher und bedeutungsvoller, auch deshalb, weil es uns all die Bereiche erschließt, die uns durch die Verdrängung des Todes verlorengehen, weil sie mit dem Tod gleichfalls ins Dunkel abgedrängt werden müssen, um die Verdrängung nicht zu gefährden. Jeder verdrängte seelische Inhalt bildet einen „Hof“. Ich habe dies am Beispiel der Schlangen-Phobie deutlich zu machen versucht. Rauchen, Alkoholmißbrauch, riskantes Autofahren, all das sind Formen verdeckten Suicids. Mit der Verdrängung des Todes wird auch die Gefährdung verdrängt. Solange der Tod ein Abstraktum ist, ein Geschehen, das mich in unendlich ferner Zukunft irgendwann einmal (möglichst ohne daß ich es bemerke) betreffen wird, solange bleiben auch derartige Selbstdestruktionen abstrakt, es sei denn, Krankheit sorgt frühzeitig für schmerzvolle Bewußtwerdung. |
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Ein Bewußtsein des Todes als Teil meiner Lebensrealität
schärft das Bewußtsein für die begrenzte Zeit, die wir haben,
läßt uns möglicherweise also sorgsamer, bewußter mit dieser
Zeit umgehen. Und sicher war dies der Sinn des weisen Rates
der Alten: „Memento mori!“ Menschen, die an der Schwelle
des Todes gestanden sind, bestätigen, daß dieses Erlebnis das
Leben intensiviert, bedeutungsvoller und reichhaltiger werden
läßt. Diese Erfahrung läßt sich nicht theoretisch vermitteln,
man muß sie selbst „schmecken“. Es kann jedoch ein erster
Schritt sein, zunächst theoretisch die verschiedenen Aspekte
dieses Themas zu diskutieren, sich langsam bewußt zu werden.
Das war mein Bemühen in diesem Referat. |
Unsere Kultur zeigt, was Saturn-Pluto-Kontakte, unbewältigt,
hervorbringen: Wir rüsten auf in unserem Bedürfnis nach
Sicherheit. Insoweit wir dieses Bedürfnis nach Sicherheit
(Saturn) übertreiben, führt das zwangsläufig zu
Übertreibungen des plutonischen Prinzips. Diese wird z. B.
deutlich darin, daß wir ein Vernichtungspotential ungeheuren
Ausmaßes angesammelt haben, und erstmals in der Lage sind,
auf der ganzen Erde alles Leben unmöglich zu machen. |
Und
in den Diktaturen, in denen Pluto übertrieben wird
(willkürliches Morden in großem Stil, Mißbrauch der Macht)
sehen wir, daß dies zwangsläufig zu Übertreibungen des
saturnischen Prinzips führt: Gerontokratien, Überborden des
Verwaltungsapparates, totale Kontrolle usw.
Wir leben in einer Zeit, in der wir lernen müssen, diese beiden Kräfte bewußt im Gleichgewicht zu halten. Dies gilt erst in diesem Jahrhundert, in dem Pluto auch entdeckt wurde. Nie vorher bedrohte der Mensch die Natur oder die Gattung als Ganzes. Seit Pluto entdeckt wurde, hat dieses Problem eine neue Dimension. - - Ende - - |