Dr.Peter Niehenke:

Schmerz, körperliches oder seelisches Leid, Altern und Sterben

Schmerz, körperliches oder seelisches Leid, Altern und Sterben gehören in unserer Kultur zur Schattenseite unserer Existenz, lösen Angst in uns aus. Wir haben Leid und Tod zu unseren Feinden erklärt. Im Kampf gegen diese Feinde geben wir jährlich Milliarden aus. Auf der Flucht vor diesen Feinden laufen wir ihnen immer wieder in ihre offenen Arme. Um diesen Feinden wirksam begegnen zu können, muß man etwas über sie wissen. Also haben sich Menschen immer wieder damit beschäftigt, die Ursachen menschlichen Leids zu erkennen bzw. zu erforschen. Die Frage nach Wesen und Ursachen menschlichen Leids wurde dabei in den verschiedenen Epochen der menschlichen Geschichte sehr verschieden beantwortet: Rache oder gar Willkür der Götter, böse Geister, die Strafe des einen Gottes für unmoralisches Verhalten,
 
d.h. für Verstöße gegen seine Gebote; in östlichen Kulturkreisen: Karma, in unserer Zeit auf der einen Seite die Auffassung von einer funktionellen Störung im chemischen Haushalt unseres Körpers, die ggf. im Zusammenhang mit der Vererbung gesehen werden muß, auf der anderen Seite Entwicklungsstörungen in der frühen Kindheit oder aber einfach mehr oder weniger „zufällig“ erfolgtes „falsches Lernen“. Aber auch das, was eigentlich als Leid anzusehen sei, wurde zu verschiedenen Zeiten in unserer Geschichte und wird immer noch in verschiedenen Kulturen, wie sie heute bestehen, verschieden bewertet: Denken wir an die Stellung der Frau in den Ländern des Orients, eine Stellung, die zu ertragen aus unserer Sicht Einschränkung, Mangel an seelischen und sozialen Entfaltungsmöglichkeiten, somit also seelisches Leid bedeutet. Denken wir an das Fehlen von Liebe in der Ehe, das „Nebeneinanderherleben“ von Ehepaaren (wie sie es selbst oft nennen): Dieses Fehlen von Liebe war in den reinen Zweck- Ehen des Mittelalters eine Selbstverständlichkeit.
 
Dort war es schließlich noch üblich, daß die Eltern ihren Kindern die Ehepartner aussuchten. (Die „Liebesehe“ ist nämlich eine Erfindung bzw. eine Errungenschaft der letzten zwei bis drei Jahrhunderte.) Heute führt die damals selbstverständliche Situation oft einen oder beide Partner in die Sprechstunde eines Psychotherapeuten oder eines Astrologen. Wir sehen daran, wie stark die Erfahrung von Schmerz oder Leid etwas zu tun hat mit unserer Haltung und unseren Wertvorstellungen, wie stark das subjektive Empfinden von Schmerz oder Leid auch davon abhängt, welche Alternativen ich sehe, in gewissem Sinne also abhängt von meinem Anspruchsniveau an Glück und Schmerzfreiheit. So gibt es denn auch innerhalb unserer heutigen Kultur, ja sogar unter den Menschen, deren Beruf die Heilung oder Linderung menschlichen Leids ist (also etwa Ärzte und Psychotherapeuten), keine einheitlichen Vorstellungen über Wesen und Ursachen menschlichen Leids,
 
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über Wege und Möglichkeiten der Therapie oder gar über die Ziele, die durch solche Therapie angestrebt werden sollen. Dies wird jedem schnell deutlich, der sich ein wenig über die verschiedenen Formen der Therapie und die dahinterstehenden Menschenbilder und Wertvorstellungen informiert. Noch schwieriger, weil noch weiter in das Gebiet weltanschaulicher Überzeugungen hineinragend, ist die Frage nach Wesen und Ursachen des Todes. Am einfachsten scheinen die Verhältnisse auf der rein körperlichen Ebene: Hier erfüllen Schmerz und Tod nachvollziehbare Funktionen für den Schutz der Unversehrtheit des Indiduums und die Erhaltung der Art. Ich sagte zu Beginn, daß Schmerz, körperliches oder seelisches Leid, Altern und Sterben Angst in uns auslösen. Und das, so denke ich, soll auch so sein: Schmerz wäre nicht Schmerz, wenn er nicht „weh tun“ würde, wenn er nicht unangenehm wäre, wenn er also nicht ein Zustand wäre, auf den Mensch und Tier gleichermaßen mit Maßnahmen reagieren, die auf die Beendigung dieses Zustandes hinzielen. Das ist ja der biologische Sinn des Schmerzes: Er soll uns vor Schaden bewahren! Er ist ein Alarmsignal, das uns deutlich macht, daß unsere körperliche oder aber unsere seelische Unversehrheit bedroht ist.
 
Wie wertvoll die Fähigkeit zur Schmerzempfindung ist, ich sage es noch einmal: die Fähigkeit zur Schmerzempfindung ist, wurde mir durch eine Anekdote eines Mediziners einmal drastisch bewußt. Dieser Mediziner hatte vor etwa 40 Jahren auf einer Station gearbeitet, auf der eine Reihe von Patienten lagen, die an Syphilis erkrankt waren. Wenn diese Krankheit ins 4. Stadium tritt, können diese Menschen keinen Schmerz mehr empfinden, weil die entsprechenden Nerven zerstört sind und nicht mehr funktionieren. Der Arzt hatte einem der Patienten ein Heizkissen gegeben. Der Patient war eingeschlafen und hatte vergessen, das Heizkissen vorher abzuschalten. Da die Heizkissen damals noch keine Abschaltautomatik hatten, heizte das Kissen immer weiter und verbrannte die Haut so stark, daß die Schwestern durch den unangenehmen Geruch verbrannter Haut schließlich auf die Sache aufmerksam wurden. Der Patient hatte nichts gespürt und in seinem Schlaf (oder vielleicht auch, weil der Geruchssinn ebenfalls nicht mehr funktionierte) auch den Geruch nicht wahrgenommen. Es braucht wenig Phantasie, sich auszumalen, welche lebensgefährlichen Verletzungen wir uns täglich zuziehen würden, wenn wir keinen Schmerz empfinden könnten.
 
Und es liegt auf der Hand, daß der Schmerz seine Alarmfunktion nicht erfüllen könnte, wenn wir auf Schmerz nicht „alarmiert“ und mit vehementen Vermeidungsreaktionen antworten würden. Wenn sich Schmerz nicht so unangenehm aufdringlich bemerkbar machen würde, dann würden wir wohl in manchen Situationen aus Versehen oder weil andere Dinge uns wichtiger scheinen, unserem Körper erheblichen Schaden zufügen. Ich bin sicher, daß die Menschen z.B. nicht rauchen würden, wenn der Schaden, den sie damit ihrem Körper zufügen, sogleich durch Schmerz warnend gemeldet würde. Im alten Griechenland wurde der Bote, der die Nachricht von einer verlorenen Schlacht überbrachte, häufig getötet. Ähnlich verhalten wir uns, wenn wir den Schmerz, den Überbringer der Botschaft, den Melder einer Gefahr oder einer „Unordnung“ in unserem Körper, als den Feind empfinden. Der Schmerz ist, das kann man mit Fug und Recht sagen, unser Freund. Er ist ein Freund, der uns dadurch „Gutes“ tut, daß er so unangenehm wie möglich ist! Sowohl der Schmerz als auch die Angst vor dem Schmerz sind notwendig, Schmerz und die Angst vor ihm gehören funktional zusammen. Manch einer, der unter großen Schmerzen leidet, mag sich wünschen, für immer schmerzfrei zu sein.
 
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Man kann für ihn nur hoffen, daß keine Fee kommt, ihm diesen Wunsch zu erfüllen! Für uns Astrologen wird dieses biologisch wie psychologisch lebensnotwendige, lebenserhaltende Prinzip, das ich hier gerade beschreibe, durch den Planeten Saturn symbolisiert. Wir sind mit seinen Eigenheiten viele Jahrhunderte hindurch ebenso umgegangen wie die Griechen mit dem erwähnten Boten. Wir nannten ihn den Übeltäter, weil er schmerzhaft auf Unordnung in unserem Körper und in unserer Seele aufmerksam macht. Von den Reifungs- oder Wachstumskrisen, in die wir durch ihn gestoßen werden, bemerkten wir nur den unangenehmen Aspekt, den jede Krise hat (haben muß), sahen in ihm eine Naturmacht, die Depressionen bringt und uns Prüfungen auferlegt. Dieses Bild hat sich mittlerweile, nicht zuletzt unter dem Einfluß von Astrologen wie Dane Rudhyar, Liz Greene und Stephen Arroyo, in Deutschland unter dem Einfluß von Astrologen wie Thomas Ring und Fritz Riemann, sehr gewandelt. Doch der Prozeß der Neubewertung von Prinzipien wie Saturn und, speziell heute, auch von Pluto, scheint mir noch längst nicht abgeschlossen, und ich möchte mit diesem Vortrag einige zusätzliche Aspekte beitragen.
 
Ich sprach davon, daß der Schmerz unser Freund sei, ein Freund, der gerade dadurch „Gutes“ zu bewirken imstande ist, daß er so unangenehm wie möglich ist, daß wir Angst vor ihm haben. Wie nun ist es mit dem Tod? Ist auch er unser Freund? - Ich erinnere mich an eine Fernsehsendung, die sich mit dem programmierten Lebensalter der verschiedenen Gattungen beschäftigte. Das Lebensalter wird durch die festgelegte Zahl der möglichen Zellerneuerungen und das erreichbare Alter einzelner Zellen bestimmt. Beim Menschen sollen etwa 10 Zellerneuerungen programmiert sein, die im Durchschnitt alle 7 Jahre stattfinden, was einer natürlichen Lebenserwartung von durchschnittlich 70 Jahren entspräche. Ich erinnere mich, daß der Moderator tröstend anführte, daß unser individueller Tod zwar bedauerlich sei, daß wir aber doch uns klar sein sollten, daß nur der individuelle Tod gewährleiste, daß eine Art sich in der Evolution überhaupt entwickeln könne. Es gäbe also gar keine Menschen, würden Leben und Tod sich nicht abwechseln; wir würden auf der Erde nämlich beim Stadium der Einzeller stehengeblieben sein, wenn es keinen Tod gäbe.
 
- Ich glaube jedoch, daß ich bei den meisten keinen großen Widerspruch erfahren werde, wenn ich darüberhinaus behaupte, daß die Vorstellung, nie sterben zu dürfen, auf dieser Erde, in dieser Existenzform ewig verweilen zu müssen, ohnehin etwas Grausames hätte: Wir sind für die Ewigkeit nicht angemessen ausgestattet, selbst dann, wenn uns Krankheiten jeder Art erspart blieben. Doch auch beim Tod gilt, daß die Angst vor ihm gleichzeitig ein Schutz ist. Wir bedürfen des Todes und wir bedürfen der Angst, damit in der vorgesehenen Spanne des Lebens das Individuum und die Art vor der Ausrottung geschützt sind. Es würde uns Menschen wohl wirklich gar nicht geben, wenn nicht der sog. „Selbsterhaltungstrieb“ eine der stärksten Kräfte in uns wäre. Wenn wir daran denken, wofür Menschen trotz dieser Angst vor dem Tode zu sterben bereit waren und zu sterben bereit sind (etwa um der Ehre willen auf dem Schlachtfeld ), wieviel leichter noch würden sie ihr Leben verschenken, vergeuden, wenn der Tod nicht einmal mehr angstbesetzt wäre? Stünden wir dem Sterben gleichgültig gegenüber, würden wir dann z.B. die im Leben unvermeidlichen Krisen, die teils sehr schmerzvollen Phasen des Reifens überstehen? -
 
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Wenn ich mir die Selbstmordrate ansehe, die trotz dieser Angst vor dem Sterben immer noch so hoch liegt, sogar bei Kindern, dann wage ich zu bezweifeln, daß unsere Rasse ohne diese Angst vor dem Tod überhaupt existieren würde! Angst vor Schmerz und Angst vor dem Tod sind also nicht nur verständlich, sie sind sogar notwendig zur Sicherung unserer Unversehrtheit und Erhaltung unserer Art. Welchen Sinn macht dann der Titel dieses Workshops: „Sterben lernen, um leben zu können“? Klingt das nicht so, wie wenn wir lernen sollten, die Angst vor dem Sterben zu überwinden? Ist es nicht ein Widerspruch zu der Erkenntnis, daß diese Angst notwendig ist? - Es ist nur ein scheinbarer Widerspruch, was ich am besten wiederum an einem Beispiel verdeutliche: Eine Schlangen-Phobie, d.h. eine irrationale und krankhafte Angst vor Schlangen, kann, wenn sie sehr extrem ist, zu einer ernsthaften Beeinträchtigung eines normalen Lebensablaufs werden. Menschen mit einer solchen Phobie trauen sich nicht mehr, im Wald spazieren zu gehen, haben Angst, über Rasen zu gehen, haben vielleicht sogar Angst,
 
durch den bepflanzten Vorgarten ihres Hauses hindurchzugehen, trauen sich im Extrem also gar nicht mehr aus dem Hause. Im Kern hat ihre Angst ja sogar einen vernünftigen Sinn, denn es gibt giftige Schlangen! Und wehe dem Therapeuten, der diese Phobie so „endgültig“ kuriert, daß der Patient Schlangen fortan als liebe, ungefährliche Schmuse- Tierchen empfindet, die er zudem vielleicht dauernd streicheln möchte... Die Vermeidung von Schmerz und die Vermeidung von Tod sind also nur sinnvoll, wenn wir dies in der richtigen Weise verstehen! Schmerz z.B. sollen wir vermeiden, dadurch nämlich, daß wir Dinge unterlassen, die unsere Unversehrtheit bedrohen. Pervertiert wird der Sinn der Schmerzvermeidung z.B. dann, wenn ich zunächst Dinge tue, die etwa die Gesundheit meines Körpers ruinieren und dann Chemikalien einnehme, um die Folgen meiner Handlung weniger spüren zu müssen (z.B. Aspirin nach einer „Sauftour“). In der Regel ruiniere ich damit ja meine Gesundheit sogar noch weiter! Ich habe nichts gegen eine Sauftour und auch nichts gegen Aspirin. Ich will mit diesem Beispiel nur sagen, daß es zwei verschiedene Arten der Vermeidung von Schmerz gibt:
 
die eine steht im Dienste der Erhaltung unserer Unversehrtheit, die andere verkehrt diesen Sicherungsmechanismus geradezu ins Gegenteil: Die Vermeidung des Schmerzes wird zu einer zusätzlichen Bedrohung für unsere Unversehrtheit. Ich kenne eine Frau, die seit der Jugend von verschiedensten Krankheiten betroffen wurde, die z.T. auch sehr schmerzhaft sind (z.B. Rheuma). Sie hat seit ihrer Jugend sehr viele Medikamente eingenommen. Hat sie Schmerzen, nimmt sie eine Schmerztablette, kann sie dann schlechter schlafen (was bei Schmerz-tabletten zuweilen als Nebenwirkung auftritt), dann nimmt sie eine Schlaftablette. Ist sie morgens abgeschlagen von der evtl. noch nicht ganz abgeklungenen Wirkung der Schlaftablette, dann trinkt sie einen starken Kaffee, usw. Ich habe ihr einmal zu bedenken gegeben, daß man ein gewisses Maß an Unwohlsein evtl. ertragen könnte, ohne sogleich etwas dagegen einnehmen zu müssen. Sie antwortete mir darauf, daß Schmerz zu ertragen noch nie ihre Sache gewesen sei, das sei ja auch heutzutage wirklich nicht mehr nötig. - Letztes Jahr nun wurde sie in der Klinik untersucht, weil sie an starken Kopfschmerzen litt.
 
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Sie forderte von den Ärzten unwirsch Mittel zur Linderung des Schmerzes: Die Medizin sei ja doch wohl weit genug, so daß es nicht nötig sei, daß sie diesen Schmerz ertrage. Die Ärzte erklärten ihr, daß sie gegen diesen Schmerz machtlos seien, denn er sei gerade die Folge eines hohen Tabletten-konsums über Jahrzehnte hinweg, könne daher nicht wiederum durch Medikamente beseitigt werden, denn jedes weitere Medikament verschlimmere immer weiter den Zustand. Dieses Beispiel zeigt, daß die Vermeidung von Schmerz zu einer Falle werden kann. Wir würden allerdings dem unsäglichen Leid vieler Menschen, die manchmal schon seit der Geburt an schwersten schmerzvollen Erkrankungen leiden, nicht gerecht, wollten wir nun ins entgegengesetzte Extrem verfallen und die Möglichkeiten der modernen Medizin, Leiden zu lindern, gänzlich ablehnen. Selbst dort, wo der Schmerz, den wir erleben müssen, die Folge eigener Fehlhandlungen ist: Wenn moderne Medizin es möglich macht, daß wir für die Folgen solcher Fehlhandlungen nicht in vollem Umfange einstehen müssen, dann spricht m.E. nichts dagegen, sich dieser Hilfen zu bedienen. Nur eines dürfen wir nie vergessen:
 
Komfort dieser Art hat seinen Preis. Solange wir uns dessen bewußt sind, den Preis kennen und ihn akzeptieren, solange sind wir sogar in der Krankheit gesund: wir haben als Menschen die Möglichkeit, uns auch zur Krankheit zu entscheiden, ggf. andere Werte höher zu stellen. Menschen neigen bei Problemen jeder Art zu „Patentlösungen“: Sie tendieren dazu, eine richtige Einsicht zu verabsolutieren und dann für die ganze Wahrheit zu halten. Mir ging es bei den bisherigen Bemerkungen darum zu vermeiden, daß „das Kind mit dem Bade ausgeschüttet“ würde, daß einige ganz einfache Zusammenhänge aus dem Blickfeld verlorengehen. Astrologisch gehört das Thema Tod und Sterben zu Saturn und Pluto. Ist der Schmerz noch eine „individuelle“ Lebensfunktion, dient also dem Schutz und der Unversehrtheit des Individuums, so ist der Tod vom Individuum her nicht mehr verständlich: der Tod ist, biologisch gesehen, das Ende der individuellen Existenz. Die biologische Notwendigkeit des Todes ist nur vom Kollektiven her, von Notwendigkeiten her zu verstehen, deren Ziel nicht mehr die Erhaltung und Unversehrtheit des Individuums, sondern die Erhaltung und Weiterentwicklung der Art ist.
 
So verkörpert Saturn mit der Angst vor dem Tode, die er in uns auslöst, den Aspekt der Selbsterhaltung des Individuums, Pluto jedoch den die individuelle Selbsterhaltung transzendierenden Aspekt der Erhaltung der Art. Saturn und Pluto sind also „natürliche“ Gegenspieler, symbolisieren Naturkräfte, die in Gleichgewicht sein müssen, damit die Art sich einerseits nicht selbst auslöscht, andererseits nicht „ewig“ lebt und dadurch Erneuerung und Weiterentwicklung verhindert. Obwohl nun Pluto Naturprinzipien symbolisiert, die nicht direkt für das einzelne Individuum biologisch bedeutsam sind, so wirkt er natürlich dennoch im einzelnen Individuum und durch dieses Individuum. Wir spüren seine Macht aber häufig in einer anderen Weise als bei den sog. persönlichen Planeten. Wenn wir unseren Mars spüren, dann sagen wir am ehesten: „Ich bin wütend“ oder „Ich bin aktiv“. Nicht so bei Pluto. Wir sagen eher: „Ich spüre da eine Kraft in mir, die mich mitreißt“ oder „Ich bin besessen von einer Kraft“ oder „Da ist etwas in mir, daß nach Ausdruck verlangt“. Pluto wird häufig als etwas empfunden, das von uns Besitz zu ergreifen scheint, häufig daher auch „externalisiert“ und als schicksalhafter Eingriff in mein Leben erfahren.
 
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Um es noch einmal zu sagen: Mir scheint es wichtig und richtig, daß wir Angst vor dem Sterben haben. Nun aber können wir uns, gestärkt durch die Verankerung in einer gesunden Angst vor dem Sterben, einigen Aspekten unserer kulturspezifischen Sterbe-Phobie zuwenden: Die Angst vor dem Sterben hat viele Gesichter. Die meisten Erscheinungsformen dieser Angst lassen sich allerdings unter einem Begriff zusammenfassen: Verdrängung (oder Verleugnung). Wir befolgen nicht den Rat weiser Vorfahren von uns: „Memento mori!“ (Gedenke des Todes). „Memento Mori” Wie gefährlich die Verdrängung der Wahrheit ist, das erlebe ich täglich als Psychotherapeut: Verdrängte Trauer wird zu Depression, verdrängte Aggression führt zu einem Unfall oder somatisiert sich in einem Magengeschwür oder gar in Krebs, verdrängte sexuelle Begierde führt zur Verhärtung der Gefühle, zu zwanghaften Verhaltensweisen oder zu Gefühlen von Sinnlosigkeit. Kollektiv erleben wir die Gefahren der Verdrängung an der Zerstörung unserer Umwelt. Unsere ganze Erde leidet an „Lungenkrebs“, weil die Schlote zuviel rauchen: Waldsterben als Folge der Vergiftung der Lunge der Natur.
 
Diese Krankheit war vorhersehbar, doch wir haben sie kollektiv verdrängt. An diesen Beispielen wird überdeutlich, daß Verdrängung: die Aufrechterhaltung eines Schein-Wohlbefindens, teuer kommen kann. Daß nicht einmal dieser offenbare Zusammenhang die Menschen zu einer Änderung ihres Verhaltens bewegen kann, legt die Vermutung nahe, daß neben der Verdrängung (also einer „saturnischen Kraft“) vielleicht noch eine andere Kraft am Werke ist, die sich der Verdrängung nur als Instrument bedient, eine plutonische Kraft. Wenn Saturn und Pluto nicht im Gleichgewicht sind, wenn saturnische Verdrängung überhand nimmt, dann führt die daraus resultierende „Sterbe-Phobie“ (die Übersteigerung unserer natürlichen und lebensnotwendigen Angst vor dem Sterben) zu Zerrformen des Umgangs mit dem Tod. Doch dazu später. Zunächst möchte ich versuchen zu klären, welche Folgen denn die Verdrängung des Sterbens für uns individuell, aber auch für unsere Kultur allgemein hat: Unter den Übungen, die ich in meinen Selbsterfahrungsgruppen den Teilnehmern anbiete, ist mir immer eine Übung besonders wichtig: die Todesphantasie.
 
Die Teilnehmer werden gebeten, sich entspannt und mit geschlossenen Augen im Raum aufzustellen. Nach einigen Minuten des Sammelns gebe ich die Aufgabe, sich nun den eigenen Tod vorzustellen; jeder soll einfach die Bilder kommen lassen, die aus seinem Inneren dazu aufsteigen: Wie werde ich sterben? Wird es ein friedlicher oder ein gewaltsamer Tod sein? Werde ich allein sein oder wird jemand bei mir sein? Werde ich Angst haben oder gefaßt sein? Wie alt werde ich sein? Jeder wartet, bis sich Bilder einstellen, und wenn der Ablauf der Bilder aus seinem Inneren den Moment des Todes erreicht hat, dann legt sich der Teilnehmer auf den Boden. Nun stellt er sich seine Beerdigung vor: Welche Menschen sind dabei? Wie verhalten sie sich? Wie erlebt er, nicht mehr unter den Lebenden, als eine Art Beobachter, diese Menschen nun? Wie fühlt sich der „Abschied“ an? Und schließlich: Was kommt danach? Gibt es ein Danach und welche Bilder oder Empfindungen stellen sich dazu ein. Ich nehme an dieser Übung auch selbst immer teil, bin also, wenn Sie so wollen, schon mehrere Tode gestorben! Und der Tod, der sich da vor meinem inneren Auge vollzog, war jedesmal ein anderer.
 
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Auch die Gefühle waren immer andere. Sie gehörten wohl jeweils zu der Zeit, in der ich diese Übung machte, spiegelten irgendwie den Zustand, in dem ich gerade war. Ich möchte Ihnen mein erstes und für mich beeindruckendstes „Todes-Erlebnis“ gern schildern: Es war ein Verkehrsunfall. Ich war, wie ich es so oft bin, in Eile und hatte ein riskantes Überholmanöver eingeleitet. Es war wohl Abend oder Nacht. Bevor ich den Überholvorgang zu Ende führen konnte, tauchten vor mir zwei riesengroße Scheinwerferlichter eines entgegenkommenden LKW auf, die rasend schnell näher kamen. Ich hörte ein lautes Tosen von Motorgeräuschen, Hupen, quietschenden Reifen, das in Sekunden zu einem ohrenbetäubenden Lärm anschwoll, um dann jäh abzubrechen. Plötzlich war Stille, absolute, irgendwie friedliche Stille. Ich sah mich etwas später auf dem Gehsteig liegen, Menschen um mich herum. Anscheinend war ich wohl schon tot. Ein Krankenwagen kam und mein Körper wurdeauf eine Bahre gelegt. Ich sah, wie mein Körper fortgetragen wurde. In diesem Moment stellten sich die ersten wirklich spürbaren Empfindungen bei mir ein: Es war Wehmut. Ich nahm Abschied von meinem Körper. Und mir schien in dem Moment, daß dieser Abschied die Urform von Abschied überhaupt sei, daß dieser Schmerz die Urform von Trauer sei.
 
Mir wurde bewußt, was dieser Körper mir ein Leben lang gegeben hatte. Ich war traurig bei dem Gedanken, nie wieder Wärme oder Kälte spüren zu können, nie wieder den Geruch des Waldes oder den Geruch eines begehrten Menschen riechen zu können, mit meinen Fingerspitzen nie wieder Haut zu spüren. Zudem empfand ich meinem Körper gegenüber Ähnliches, wie einem geliebten Menschen gegenüber, von dem ich nun für immer Abschied nehmen müßte. Mir wurde deutlich, wie stark „Leben“, zumindest für mich und zumindest in dem Moment, bedeutet, einen Körper zu haben, vielleicht sollte ich besser sagen: Körper zu sein, körperlich zu sein. Was immer nachher sein sollte, sei es Glückseligkeit, sei es Warten auf die nächste Inkarnation, eines scheint mir sicher: Es ist eine Existenz ohne diesen unseren Körper, denn dieser unser Körper verwest nach unserem Tode. Es muß also mit diesem Körper auch etwas auf sich haben in unserem Erden- Dasein, denn Körper zu sein, dieser Körper zu sein, der wir sind, scheint mir ein wesentliches Merkmal unserer jetzigen Existenz. Wir haben eine lange Tradition der Diskreditierung des Körperlichen. In einer Liebesbeziehung zu einem anderen Menschen beeilen wir uns zu versichern, daß unser Interesse nicht nur körperlich sei. Wir können uns zwar gut vorstellen, daß unser Interesse nur geistig ist, das empfinden wir als edel und gut.
 
Doch daß es nur körperlich ist, das empfinden wir als unanständig, primitiv oder was auch immer. Welch merkwürdige Asymmetrie unserer Werte! Wir wissen so wenig davon, welch intensiver Austausch an Energie, welch intensives Zwiegespräch stattfindet, wenn zwei Körper sich kultiviert begegnen. Nur durch dieses Unwissen ist es mir erklärlich, daß wir so dumm sein können, dem Geistigen a priori einen höheren Wert zuzubilligen als dem Körperlichen. Gehört nicht beides zu unserer Welt? Sind wir nicht mit Geist und Körper ausgestattet? - Wobei ich mir sogar überlege, ob in dieser Existenz nicht das Körperliche das Eigentliche, das Charakteristische sei! Denn das geistige Prinzip scheint nicht das zu sein, das für diese Existenz typisch ist, das Geistige scheint das zu sein, welches auch in anderen Formen der Existenz unserer Seele, falls es solche gibt, weiterbesteht. Das Körperliche gering zu achten, heißt meines Erachtens, diese Form unserer Existenz gering zu achten! Von einem anderen Standpunkt aus betrachtet kann man natürlich mit gutem Recht sagen, daß das Körperliche in unserer Kultur geradezu überbetont wird. Das macht es doch schließlich so schwer, in Würde zu altern, in einer Gesellschaft, deren Ideale jugendliche Vitalität und Schönheit sowie Gesundheit im Sinne von Leistungsfähigkeit bzw. Funktionsfähigkeit sind.
 
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Das ist allerdings richtig! Und hier spüren wir eine der Folgen der Verdrängung des Sterbens. Alles, was wir verdrängen, muß zwangsläufig in weniger kultivierter Form einen Weg des Ausdrucks finden. Das gilt auch für Altern und Sterben. Es ist wirklich schwer, in unserer Gesellschaft in Würde zu altern. Und meiner Ansicht nach ist es ebenso schwer, in Würde zu sterben. Eine der traurigen Folgen unserer Verdrängung des Todes ist, daß wir nicht in Würde und erhobenen Hauptes dem Tode ins Auge sehen können, sondern ihm oft in einem sinnlosen, vor allem aber meist würdelosen Kampf Minuten, Stunden oder Tage abringen, um dann häufig „zu verenden statt zu sterben“. In unserer Verdrängung des Todes haben wir das Gespür verloren, wann es richtig ist, mit dem Tode zu kämpfen, weil das Leben stärker ist, und wann es richtig ist, loszulassen. Aber auch das zuvor Gesagte stimmt: Für unsere Kultur ist sowohl die Überbetonung des Körperlichen im beschriebenen Sinne typisch als auch die Geringschätzung, und wahrscheinlich entspricht beides sich! Die Überbetonung des Körperlichen als Jugend und Schönheit ist der Ausdruck der Verdrängung von Altern und Tod.
 
Und wie bei jeder durch Verdrängung verursachten Einseitigkeit drängt auch der entgegengesetzte Pol nach Ausdruck, sei er auch entstellt und daher oft in seinen Ursachen schwer erkennbar. Die Schwierigkeiten, die unsere Kultur mit der Bewältigung der Sexualität hat, – und die sind offenbar, gehen Hand in Hand mit unserer Verdrängung des Todes. Die Diskreditierung des Körperlichen ist für mich Ausdruck einer Ablehnung unserer Existenz schlechthin, der zwingende Gegenpol also zur Ablehnung von Altern und Sterben! Weil wir nicht sterben wollen, läßt unser Unbewußtes uns auch nicht wirklich leben! Das ist der Preis der Verdrängung! In der Sexualität berühren sich Leben und Tod besonders eng. Bei bestimmten Tierarten gilt das wörtlich: Sie sterben nach der Erfüllung Ihres Instinktes zur Fortpflanzung. Beim Menschen gilt es zunächst im übertragenen Sinn: In der viktorianischen Zeit nannten die Engländer den Orgasmus „The little Death“ (der kleine Tod). Sexualität wirklich zu erleben bedeutet die Fähigkeit, sich fallen lassen zu können, loslassen zu können (die Kontrolle aufgeben zu können). In einer tief empfundenen sexuellen Vereinigung lösen zwei getrennte Existenzen sich in einer Zwei-Einheit auf.
 
Dieses Erlebnis macht manchen Menschen Angst, und diese Angst kann die Ursache von Problemen im Partnerbereich sein. Die Sehnsucht eines Partners oder auch beider Partner nach dem Erlebnis einer solchen Vereinigung bleibt unerfüllt, löst Enttäuschungs- und Unzulänglichkeitsgefühle aus. An diesem Beispiel sehen wir einen direkten Zusammenhang zwischen der Angst vor dem „Sterben“ und der Unfähigkeit zu „leben“. An diesem Beispiel wird aber auch deutlich, daß Sterben im Sinne von „ganz loslassen“ einen Lustaspekt hat. Und damit nun nähern wir uns der Art und Weise, in der das Plutonische originär in uns verankert ist. Sterben ist vielleicht nicht nur etwas, das uns widerfährt, dem wir uns notgedrungen stellen müssen: Es gibt vielleicht auch eine Lust zu Sterben. Da dieser Bereich tabuiert ist, fällt es den meisten sicher schwer, diesen Lustaspekt überhaupt geistig für möglich zu halten, geschweige denn, ihn emotional zuzulassen.
 
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Es mag daher zunächst einfacher sein, diesen Gesichtspunkt im Zusammenhang mit dem Thema Schmerz zu untersuchen: Wir alle wissen, daß es zumindest in der Sexualität zwischen Schmerz und Lust einen fließenden Übergang gibt. In höchster Erregung können Reize als luststeigernd erlebt werden, die in ruhigem Zustand als unangenehm, schmerzend oder ekel-erzeugend erlebt werden würden. Wir dürfen in allen Bereichen der menschlichen Seele sicher sein, daß einer intensiven (ggf. angstvollen) Ablehnung immer auch eine intensive (ggf. lustvolle) Faszination gegenübersteht. Das ist bei Schmerz und Tod nicht anders! In der von uns als krankhaft empfundenen sadomasochistischen Beziehung zweier Menschen wird deutlich, daß in bezug auf die Kategorie aktiv/passiv, Opfer/Täter immer beide Teile in jeder der beteiligten Personen enthalten sind. Der Masochist ist angewiesen auf das Bewußtsein, daß es seinem „Peiniger“ Lust bereitet, ihm die Schmerzen zuzufügen.
 
Der Sadist erlebt immer auch identifizierend die Lust des Masochisten mit. Daß diese Einschätzung richtig ist, kann man daran ablesen, daß die Rollen in einer solchen Beziehung sehr leicht vertauscht werden können. Konsequenterweise müßte dies auch für das Töten und Getötet-Werden gelten: Im Zusammenhang mit dem Inzest- Tabu hat Sigmund Freund uns schon darauf hingewiesen, daß Tabus nicht dann entstehen, wenn Menschen natürlicherweise ohnehin kein Bedürfnis zu bestimmten Handlungen haben, sondern daß Tabus überall dort entstehen, wo eine starke Neigung der Menschen zu einer Handlung besteht, die kollektiv als unerwünscht oder gefährlich angesehen wird. Die Stärke eines Tabus läßt immer Rückschlüsse auf die Intensität des unterdrückten Wunsches zu! Was müssen wir daraus ableiten, wenn wir uns die Intensität der Tabuierung des Todes in unserer Kultur vergegenwärtigen?
 
In 3500 Jahren Geschichte insgesamt 243 Jahre ohne Krieg, die Lust der Menge an den Massakern der Gladiatoren in den römischen Arenen, die gutbesuchten öffentlichen Hinrichtungen in früheren Zeiten, spanische Stierkämpfe, die Grausamkeiten in den KZs des Dritten Reiches und die Ausschreitungen amerikanischer Soldaten in Vietnam, Katastrophenfilme wie „Der weiße Hai“, aber auch 12.000 Verkehrstote jährlich auf bundesdeutschen Straßen. Ist das die Antwort? Tabus haben als Stabilisatoren menschlicher Gemeinschaften ihren guten Zweck. In Schwierigkeiten kommen wir immer dann, wenn wir ein Tabu ein klein wenig brechen, eine erste scheinbar harmlose Frage stellen. Wir müssen uns zwischen Klarheit und der Aufrechterhaltung eines Tabus immer entscheiden, beides ist nicht gleichzeitig möglich. Wenn wir ein Tabu aufrechterhalten, dann ist das m.E. im Prinzip in Ordnung, in bestimmten Fällen sogar gut und wünschenswert.
 
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Wir dürfen uns dann nur nicht wundern, wenn bestimmte Themenbereiche undurchschaubar bleiben, bestimmte eigene Wünsche, Träume oder Verhaltensweisen uns unverständlich, krankhaft oder pervers erscheinen. Und wenn eine Kultur darin versagt, für einen bestimmten Seelenanteil ein konstruktives Realisierungsfeld zu bieten, dann realisiert sich dieser Bereich unkultiviert und destruktiv. Gibt es sie: die Lust zu töten und die Lust zu sterben? Gibt es sie, die Lust an der Destruktion? Gibt es einen Todestrieb? Und wenn es sie gibt, wie kann man damit umgehen? Ganz offenbar gibt es sie, die Lust zu töten, und es gibt eine Lust zu sterben - es gibt die Lust an der Destruktion. Vietnam und das Dritte Reich konfrontieren uns mit den Abgründen dieser Lust, doch der eine oder andere von uns kennt vielleicht auch selbst ihre eigentümliche Faszination, sozusagen „im Kleinen“: denken wir an die grausamen Spiele, die Kinder und Jugendliche mit Tieren zu spielen in der Lage sind! Diese „Lust“ ist Ausdruck eines Naturprinzips, eines Archetyps, eines biologischen und seelischen Ur-Sachverhaltes, den wir Astrologen verkörpert finden im Symbol des Planeten Pluto.
 
Im Kampf mit Angst und Gewissensnot äußert sich dieses Prinzip selten als „Lust“, wir erleben es eher als „Grauen“. Daß dieses Grauen jedoch offensichtlich auch Lustaspekte hat, zeigt der Absatz einer bestimmten Sorte von Filmen: auf primitivem Niveau etwa der Film „Muttertag“, auf diabolisch sublime Weise unter die Haut gehend bei Pasolinis Film „Die letzten 120 Tage von Sodom“. Destruktion wie auch Selbstdestruktion sind auch nicht ohne Sinn. Es gibt sie sogar im Tierreich. Bestimmte Tierarten verüben, wenn sie in ihrer Zahl zu stark angewachsen sind, kollektiven Selbstmord. Häufig ist das Neue wirklich nur möglich, wenn zunächst das Alte zerstört wird (wie ich es auch am Beispiel der Evolution der Arten schon demonstrierte). Und wir können mit diesen Impulsen umgehen - umgehen lernen, dank der Macht der Symbole, dank der psychischen sich dieser Mechanismen sehr ausgiebig in ihren magischen Ritualen. Wir bedienen uns dieser Mechanismen ebenso ausgiebig in unseren Träumen, bei der symbolischen Darstellung seelischer Konflikte in Form körperlicher Erkrankungen, vor allem aber in der Kunst, hier am deutlichsten nachvollziehbar beim Theater, das ja auch tatsächlich aus kultischen Handlungen entstanden ist.
 
Die Macht symbolischer Handlungen spüren wir deutlich in vielen Formen der Interaktion zwischen Menschen: Wir können uns zutiefst „verletzen“, ohne uns auch nur körperlich berührt zu haben. Es gibt psychische „Waffen“, den Ruf-“Mord“, Rede- “Schlachten“ usw. Fast noch deutlicher sehen wir solche Symbolisierungen in unseren „Gesellschaftsspielen“: Warum wohl fällt es vielen Menschen dabei so schwer zu verlieren, wo es doch „nur“ ein Spiel ist?
Und es gibt noch einen Bereich, der mit diesem Thema aufs engste verknüpft ist, der uns helfen kann, diese archaischen Kräfte zu bändigen und zu kultivieren: die Sexualität. Es ist nämlich etwas dran an den moralisierenden Wehklagen der Sittenrichter, die darauf verweisen, daß frühere Kulturen immer dann zugrunde gingen, wenn die „Sitten verfielen“, wie sie es nennen. Wir müssen uns nur klarmachen, was es früher bedeutet hat, daß eine Kultur unterging: nachlassender Kampfgeist nämlich, eine schwache Armee ohne streitbare Soldaten. Zur Aufrechterhaltung des Kampfgeistes ist die Unterdrückung der Befriedigung sexueller Bedürfnisse sehr effektiv. Befriedigte sexuelle Bedürfnisse machen den Menschen sanfter.
 
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Woran aber liegt es, daß wirklich befriedigte sexuelle Bedürfnisse sanfter machen? Ist es wie bei befriedigten oralen Bedürfnissen? Ist es Müdigkeit wie nach einem guten Essen? - Wir wissen, daß es das nicht ist, denn die Befriedigung wirkt ja im Gegenteil sogar energetisierend, weckt und mobilisiert Kräfte - Kräfte nämlich, die bis dahin gebunden waren, aufgebraucht wurden, um Impulse zu unterdrücken!
Ich meine, daß wir sanfter werden, weil in der Sexualität auf symbolische (in bestimmten Fällen allerdings auch auf ganz reale) Weise aggressive Impulse ausgelebt werden (können) und weil wir im Moment der Exstase loslassen, uns verlieren, vielleicht sogar „mit dem Kosmos verbinden“, wie (vielleicht) im Moment des Todes.
In der Sexualität erleben wir in symbolisierter Form Töten und Sterben, besser gesagt: Wir können es dort erleben. Es gilt für jeden seelischen Impuls: Unterdrückung ist gefährlich. Die richtige Antwort heißt: Kultivierung. Was hilft es uns nun im Kontext unserer Erörterungen, wenn wir der Angst vor dem Sterben (also dem Saturn) die Lust zu sterben (also der Kraft des Pluto in uns) als einen ebenfalls stark wirkenden seelischen Mechanismus gegenüberstellen?
 
Macht dieses Bewußtsein uns das Sterben leichter? Meines Erachtens: Ja! Es hilft uns, den Tod nicht mehr einseitig nur als unseren Feind zu betrachten, ihn nicht mehr nur als ein Übel zu empfinden, von dem wir heimgesucht werden. Wenn wir das Bewußtsein zulassen lernen, daß wir den Tod als einen Impuls in uns tragen, dann sind wir vielleicht auch eher bereit, uns mit ihm als einem Teil von uns selbst auseinanderzusetzen.
Sterben zu können heißt loslassen zu können, Abschied nehmen zu können, aufgeben zu können. So gesehen sterben wir im Laufe unseres Lebens viele Tode: Der Verlust eines über alles geliebten Menschen, der Zusammenbruch des Geschäfts, der ruinierte Ruf, aber auch die zerstörte Illusion (von was auch immer) oder nur das verlorene Weltmeisterschafts- Spiel unserer National-Elf. Sterben zu lernen bedeutet ganz allgemein die Fähigkeit, Dinge annehmen zu können, die nicht oder nicht mehr veränderbar sind. Und es ist wichtig, sich darüber klar zu sein, daß es in unserer Seele eine Kraft gibt, die uns aktiv in solche Situationen führt, in denen wir dem Tod in einer seiner Erscheinungsformen begegnen.
 

Unsere Seele ist weise und wir täten gut daran, uns ihrer Führung anzuvertrauen. Schmerz, Leid, Altern und Sterben positiv in unser Leben einzubinden, macht unser Leben intensiver, reicher und bedeutungsvoller, auch deshalb, weil es uns all die Bereiche erschließt, die uns durch die Verdrängung des Todes verlorengehen, weil sie mit dem Tod gleichfalls ins Dunkel abgedrängt werden müssen, um die Verdrängung nicht zu gefährden.
Jeder verdrängte seelische Inhalt bildet einen „Hof“. Ich habe dies am Beispiel der Schlangen-Phobie deutlich zu machen versucht. Rauchen, Alkoholmißbrauch, riskantes Autofahren, all das sind Formen verdeckten Suicids. Mit der Verdrängung des Todes wird auch die Gefährdung verdrängt. Solange der Tod ein Abstraktum ist, ein Geschehen, das mich in unendlich ferner Zukunft irgendwann einmal (möglichst ohne daß ich es bemerke) betreffen wird, solange bleiben auch derartige Selbstdestruktionen abstrakt, es sei denn, Krankheit sorgt frühzeitig für schmerzvolle Bewußtwerdung.
 
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Ein Bewußtsein des Todes als Teil meiner Lebensrealität schärft das Bewußtsein für die begrenzte Zeit, die wir haben, läßt uns möglicherweise also sorgsamer, bewußter mit dieser Zeit umgehen. Und sicher war dies der Sinn des weisen Rates der Alten: „Memento mori!“ Menschen, die an der Schwelle des Todes gestanden sind, bestätigen, daß dieses Erlebnis das Leben intensiviert, bedeutungsvoller und reichhaltiger werden läßt. Diese Erfahrung läßt sich nicht theoretisch vermitteln, man muß sie selbst „schmecken“. Es kann jedoch ein erster Schritt sein, zunächst theoretisch die verschiedenen Aspekte dieses Themas zu diskutieren, sich langsam bewußt zu werden. Das war mein Bemühen in diesem Referat.
 
Unsere Kultur zeigt, was Saturn-Pluto-Kontakte, unbewältigt, hervorbringen: Wir rüsten auf in unserem Bedürfnis nach Sicherheit. Insoweit wir dieses Bedürfnis nach Sicherheit (Saturn) übertreiben, führt das zwangsläufig zu Übertreibungen des plutonischen Prinzips. Diese wird z. B. deutlich darin, daß wir ein Vernichtungspotential ungeheuren Ausmaßes angesammelt haben, und erstmals in der Lage sind, auf der ganzen Erde alles Leben unmöglich zu machen.
 
Und in den Diktaturen, in denen Pluto übertrieben wird (willkürliches Morden in großem Stil, Mißbrauch der Macht) sehen wir, daß dies zwangsläufig zu Übertreibungen des saturnischen Prinzips führt: Gerontokratien, Überborden des Verwaltungsapparates, totale Kontrolle usw.
Wir leben in einer Zeit, in der wir lernen müssen, diese beiden Kräfte bewußt im Gleichgewicht zu halten. Dies gilt erst in diesem Jahrhundert, in dem Pluto auch entdeckt wurde. Nie vorher bedrohte der Mensch die Natur oder die Gattung als Ganzes. Seit Pluto entdeckt wurde, hat dieses Problem eine neue Dimension.

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